[Rezension] Annika Meyer Verschwundene Seelen – Die Vergessenen der Wirklichkeit

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Verschwundene Seelen ist der Debütroman der erst 17-jährigen Autorin Annika Meyer. Das Hardcover aus dem Fabulus-Verlag sieht mit dem dunklen Farbschnitt wirklich klasse aus. Für toughe Mädels ab 14 Jahren, wirbt der Verlag. Nach den ersten Seiten war ich da skeptisch…

Aus dem Alltag erwacht

Alina lebt mit ihrem Vater und Bruder Leon in einem kleinen Haus nahe des Waldes, ihres Lieblingsorts. Oft verschlägt es sie dorthin, dann vergisst sie auch schonmal Mario, ihren besten Freund. In der Schule trifft sie ihre beste Freundin, Yvonne. Alina ist Teenager, mit allen Facetten ihres stinknormalen Schulalltags, bis ihr Leben sich nach einem Traum völlig verändert.

Erst sieht sie die Frau nur im Traum. Ihr Kleid wechselt die Farbe, wie auch ihre Augen. Als Alina erwacht ist nichts wie zuvor. Sie merkt: Sie hat sich verändert. Und… verdammt? Haben Jonas Augen auf dem Schulflur soeben, wie bei der Frau in ihren Träumen, die Farbe gewechselt?

Sieben Auserwählte sind dazu bestimmt, die Menschen zu schützen. Auf ihren Schultern ruht die Zukunft der Menschheit: Alte Mythen ranken sich um das Zauberbuch der Hexe, in den Schatten lauert der Tod. Ihre Familien können sie nur retten, wenn sie sich opfern. Denn der ihnen bevorstehende Kampf wird weitreichende Konsequenzen für sie mit sich bringen: Für ihre Familien und Freunde werden sie unsichtbar sein – als hätte es sie nie gegeben. Aber eine Wahl bleibt ihnen nicht. Das Gute zwingt sie und das Böse wartet nicht. Mittendrin ist Alina, die lernen muss, ihren Mitstreitern und vor allem ihren eigenen Fähigkeiten zu vertrauen.

„Sie sah sich auf einer Wiese wieder, die ihrer Lieblingswiese im Wald zum Verwechseln ähnlich war. Genau in der Mitte saß eine wunderschöne Frau auf dem Boden, die sehr langes braunes Haar hatte und ein Kleid, das alle zwei Sekunden die Farbe wechselte. Als Alina einen Blick in ihre Augen erhaschte, sah sie, dass ihre Augen wie das Kleid in kurzen Zeitintervallen die Farben änderte. Es waren drei Farben: erdiges Braun, dunkles Blau und ein sehr grelles Orange, das in den Augen wehtat. Alina bemerkte jedoch auch, dass die Augen zwei Sekunden farblos waren.“ S. 12

Schnippische Charaktere und federleichte Zauber

Wer von euch Mädels träumt nicht davon, perfekt frisiert und gestylt aufzuwachen? Mit Lipgloss, samtweicher Haut und nach Blumen duftend?

Alina hatte sich ihr Leben anders vorgestellt. Ein phantastischer Traum – und plötzlich verfügt sie über Zauberfähigkeiten, eine anfangs unerforschte und unkontrollierbare Macht. Doch dieses Schicksal ereilt sie nicht allein: Sechs weitere Personen werden auserwählt, eine bunt gemischte Truppe, die unterschiedlicher kaum sein könnte: Ein Querschnitt durch die Teenagerwelt. So unterschiedlich ihre Charaktere sind, so unterscheiden sich auch ihre Ambitionen und Sichtweisen. Für Zündstoff ist also gesorgt: Lunas stets… nennen wir es „charmante Art“ hat mich gleich begeistert.

Aber mutig sind nicht nur die Protagonisten dieser Fantasy-Welt. Annika Meyer hat bei der Erschaffung ihrer Welt kaum Grenzen gesetzt: Sowohl die Einsatzmöglichkeiten der Elementzauber und Zaubertränke, als auch die Verläufe der Plot-Twists sind absolut unvorhersehbar und nahezu grenzenlos. Hier endet die Magie nicht nach wenigen Feuerbällen. Nie kann man sicher sein, dass nicht hinter der nächsten Ecke eine neue Grausamkeit lauert. Und ebendas ist für mich die große Stärke des Romans: Die Vielseitigkeit, die Kreativität. Außerdem Alinas Entwicklung mit vielen gut geschilderten flammenden Emotionen sowie berechnender Kälte und eisiger Brutalität, und die verträumte Detailverliebtheit in der Natur.

„[Alina] hatte sich wieder auf den Boden gesetzt und hielt, in Gedanken versunken, eine Hand in eine Pfütze. Wenn sie die Hand bewegte zerstörten die Wellen ihr Spiegelbild. Nur bei ruhiger Wasseroberfläche erkannte man sie wieder. Die Regentropfen verursachten jedoch immer wieder von Neuem Wellen… Das war ein Spiegelbild ihrer selbst. Alina wusste nicht mehr, wer sie war, und sie erkannte sich nicht mehr. Sie war noch nie in ihrem Leben brutal gewesen und wusste nicht, was sie von alldem halten sollte.“ S. 57

Große Entwicklung auf 333 Seiten

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten, lehrt uns die junge Autorin. Die Schwachstellen des Romans sind die Schwankungen des Sprachniveaus innerhalb des Buches. Sehr starken kreativen Parts mit actionreichen Kämpfen und mystischer Atmosphäre folgen lange Textpassagen ohne starke Verben. Bis Kapitel 7 war ich vom Buch deshalb enttäuscht: Trotz bildhafter Sprache schlichen sich viele Wiederholungen in den Text, es mangelte an sprachlicher Präzision. Hier ein Beispiel:

„Als sie oben ankamen, sahen sie jemanden mit dem Rücken zu ihnen am Waldrand stehen. Er unterhielt sich mit jemandem.“ S. 145

Ich hätte mir gewünscht, dass die Sprache insgesamt komprimierter gewesen wäre. Viele Nebensächlichkeiten könnten gestrichen werden: Mir ist´s eigentlich egal, ob Alina sich noch Brote macht, bevor sie schlafen geht; dem Plot auch. Ich verstehe den Drang zur Vollständigkeit; der Rotstift nicht. Aber von Seite zu Seite wird der Sprachstil immer besser, durchhalten lohnt hier. Und so verschlang ich die zweite Hälfte des Buches in einem Rutsch. Für die Bewertung ist das ein Problem: Zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des Romanes liegen Welten.

Zukunft gerettet?

Kein Zweifel daran, dass diese Leistung für eine 17-jährige Autorin herausragend ist; in meiner Rezension aber bewertete ich das Buch ungeachtet dessen. Für die Zukunft stellt sich mir dennoch die Frage: Was kann die vor Kreativität strotzende junge Autorin bewirken, wenn sie (wie ihre Protagonistin) lernt ihr Talent und die ihr gegebenen Fähigkeiten präzise einzusetzen? Ich hoffe sehr, wir hören bald mehr. Sollte ein zweiter Teil folgen, bin ich wieder mit dabei.

Stern3-1

(1. Hälfte: 2 Sterne, 2. Hälfte: 4 Sterne)

„Die Farben passten zwar nicht ganz zusammen, doch schien es, als wären die Farben ineinander verliebt.“ S. 212

Empfehlen kann ich dieses Buch EUCH, die ihr gern ungeschliffene Kreativität lest und über manch unbeholfen wirkende Textpassagen hinweg schauen könnt. Euch, die ihr verträumte Waldlichtungen und Elementzauber mögt und knallharte ungefilterte Teen-Action. Euch, die ihr diese perfekt konstruierten Romane satt habt, die ihr freche und rotzige Texte liebt, bevor man sie in Bestsellerform presst. – Sofern ihr bereit seid, den Anfang des Buches durchzustehen, um die große Entwicklung des Romans auf 333 Seiten mitzuverfolgen.

Vielen Dank an den Fabulus-Verlag und Literaturtest für dieses Rezensionsexemplar.


Ein Interview mit der jungen Autorin gibt es beim Stuttgarter Onlinesender stuggi.tv :

Verschwundene Seelen Book Cover Verschwundene Seelen
Annika Meyer
Jugend-Fantasy
Fabulus Verlag
01.03.2016
Hardcover mit Farbschnitt
340

Alina und weitere sechs Jugendliche gehören zum engeren Kreis der Auserwählten. Sie sollen das Buch des Lebens, das »Zauberbuch«, vor der Vernichtung durch die Schattenmenschen retten. Dazu sind die Aus- erwählten mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet. Im Kampf um das Gute haben sie es jedoch mit einem übermächtigen und verschlagenen Feind zu tun, der mit aller Brutalität vorgeht. Werden die sieben diese Schlacht letztendlich für sich entscheiden und die Schattenmenschen zurückdrängen können?
Der Preis ist hoch, den die Auserwählten für ihre Berufung zu zahlen haben: Solange sie sich in ihrer Parallelwelt bewegen, verlieren Freunde, Verwandte und Kameraden in der »normalen« Welt jegliche Erinnerung an sie. Die Auserwählten sind dann die »verschwundenen Seelen«.

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