Götter von Will Hofmann

IMG_0809[Rezension] Götter von Will Hofmann: Vier Lebens- und eine Sektengeschichte/n

Was war das denn? Readfy nennt es Fantasy, Lovelybooks Science Fiction. Der Klappentext klingt vielversprechend dystopisch. Bereits nach wenigen Seiten bemerkte ich: Ich bin so falsch in diesem Buch, wie der Papst beim MSV. Ein Erklärungsversuch…

Agnes: Ein neugieriges Mädchen mit seltsamen Hobbies

Agnes wurde als Kind streng und gottesfürchtig erzogen. Im Reservat wuchs sie unter Frauen auf, wusste aber doch immer, dass es mehr geben musste. Ihre Vermutung basierte auf Beobachtungen, die sie in der Natur um das Lager herum gemacht hatte: Brauchte es doch immer zwei Arten Mäuse, damit es Nachwuchs gab. Neugierig sezierte sie Tiere nach dessen Tod, und erfuhr bald brisante Details, die ihren Gottglaube und die Wahrheit der Erzieherinnen in Frage stellten. Wohin brachten die großen metallischen Vögel der Götter die Auserwählten ihres Dorfes? Was taten sie dort mit ihnen? Agnes´ Neugier kannte keine Grenzen, ihr Leben im Reservat zahlreiche – und so floh sie bald, um die Wahrheit zu erfahren.

„Da Lügen so etwas wie ein Kapitalverbrechen war, beschäftigten sich die Erzieherinnen ausführlich damit. Doch die offizielle Meinung führte bei Agnes zum gegenteiligen Effekt. Sie hatte von der Strategie des Lügens erfahren. Damit keimte in ihr der Verdacht auf, dass alles, was Menschen sagten, gelogen sein konnte.“ S. 15

In der lebensfeindlichen Umgebung der Reservate trifft sie Günter, ebenfalls aus einem Reservat entflohen und ebenso weltfremd erzogen ist wie sie selbst. Gemeinsam überleben sie, entdecken die ihnen stets verschwiegene Wahrheit und beschließen schließlich die angeblichen Götter zu stürzen.

Irdische Götter: Das SEKTenleben in den Städten

„In einer stillen Stunde hatte der Senior seinen Sohn darüber unterrichtet, das Wort Herrenmensch in der Öffentlichkeit nicht zu verwenden. Trotzdem bestehe die Gesellschaft nun mal aus seiner Schicht und den Untermenschen. Das sei ein naturgegebenes Unterscheidungsmerkmal.“ S.144

Rudolph, Sproß einer wohlhabenden und einflussreichen Familie, wuchs im Internat auf. Seine Lehrern quälte er mit Streichen, niemandem gegenüber kannte er Gehorsam. Am Wendepunkt seiner schulischen Laufbahn weiht sein Vater ihn ins düstere Familiengeheimnis ein; es wird sein Leben und seine Prioritäten auf ewig verändern.

Clemens, der in seiner Jugend im Kinderheim Gewalt erfahren hat, landet als Erwachsener in der sektenähnlichen Geheimgesellschaft „Die Streber“. Dort verliebt er sich in Inga, die schon bald zwischen ihm und der Sekte stehen wird.

Neue Perspektive und immergleicher Fokus

„Agnes, zeig dem Klaus doch mal deine Brüste.“ S. 203

Agnes unverschuldet naive Perspektive nach der Flucht fand ich anfangs interessant: Sieht man doch die Welt wundersam verschroben. Nichts von dem, was Agnes in freier Natur sieht, scheint so recht zu dem zu passen, was sie zu wissen glaubte. Spätestens nach dem dritten Tier-Quiz war der Überraschungseffekt aber passé.

Agnes´und Günters Unwissenheit gipfelt schließlich einer ewig langen Erkundung ihrer selbst. Frei nach dem Motto „Agnes, zeige deine Brüste“ wird dort jeder unwissende Charakter auf die ein- oder andere Weise bekehrt. Auch diese Erfahrungen wurden letztendlich totgeschildert.

Parallelwelt und emotionslose Charaktere

Die Idee klang auf den ersten Blick interessant: Eine Sekte, mitten in Deutschland, betreibt von der Außenwelt abgeschiedene Reservate, in denen Männer und Frauen getrennt voneinander zu Sklaven erzogen werden. Die, die sie beherrschen, gelten als göttlich, weil den Unterdrückten die Bildung verweigert und mit strenger Hand ein Gottglaube anerzogen wird, der die Sektenmitglieder zu Heiligen spricht. Welch´große Angst müssen die Bewohner der Reservate haben, wenn der metallische Vogel vom Himmel sinkt!

Nur merkte ich davon im Text wenig. Die zu erwartende Gefühlsachterbahn blieb nach Agnes´ Flucht aus: Keine durchlebte Einsamkeit, kein emotionaler Überlebenskampf. Sie ist klug, das spricht für sie. Auch ihre wissenschaftliche Sichtweise auf die Vorgänge der Natur fand ich gut. Doch wirkte sie mir schließlich viel zu abgeklärt, selbst und gerade in Extremsituationen.

Schlimmer wird es im Laufe des Textes: So gibt es Bindungen zwischen Menschen, die ich nicht verstehe: Liebe auf den ersten Blick und ersten Absatz, voreiliges und völlig unbegründetes Vertrauen und schließlich wird eine Schwangerschaft in höchster Not mit folgenden Worten kommentiert: „Als ihr auffiel, dass die letzte [Periode] schon recht lange zurücklag, hatte sie sofort die Gewissheit, schwanger zu sein. Sie wollte das Kind unbedingt austragen, etwas anderes kam für sie nicht infrage. Es machte ihr Leben mit Sicherheit nicht leichter, doch es würde schon irgendwie gehen.“ S. 206

Nahezu alle im Buch aufgeworfenen schwerwiegenden und konfliktgeladenen Entscheidungen wurden gekonnt umschifft: Ingas Zwiespalt: Liebe oder Job? Soll Klaus das Lager verlassen? Soll Lotta sich anschließen, schließlich riskiert er sein Leben? Pläne werden nicht ausdiskutiert, sondern das Resultat dem Leser erzählt. Wie können im Lager ungesehen Dinge verschwinden, monatelang? Es gibt Mengen an ungenutztem Konfliktpotential! Das Buch kam einfach nicht in Schwung.

Erzähltechnik und Dialoge

„Allmächtig, ei der Daus!“, widersprach Agnes. „Mächtig meinethalben, aber nicht allmächtig. Das glaub ich nicht mehr. Die sind Menschen wie wir aus Fleisch und Blut.“ S. 162
Der ständige Dialekt in Dialogen zwischen Agnes und Günter tat sein übriges: Ich kam erst ab Kapitel 2 (S.213+) in die Story hinein, als der Dialekt langsam verebbte, die Charaktere etwas Grundwissen über die Zivilisation erlangten und die Storystränge mehr Inhalt boten.

Will Hofmann hat in Götter jeden Winkel der Geschichte restlos beleuchtet: Über Gefangene und Peiniger erfährt man alles, von frühster Kindheit an. Das nimmt Göttern alles Göttliche, Menschen alles Menschliche und Charakteren jede Überzeugungskraft. Es hätte mystisch sein können, oder rätselhaft – wir hätten ängstlich oder bestürzt auf die Wahrheit reagieren müssen! Doch wurde durch endlose Schilderungen hier erzähltechnisch jede Spannung im Keim erstickt. Schade!

Als Fantasy und Science Fiction angepriesen, mit Schwerpunkt Dystopie, handelt es sich tatsächlich um ein absurdes Szenario in einem realitätsnahen Deutschland mit Schwerpunkt Sektenzugehörigkeit und -Exit. Der Schreibstil machte es mir sehr schwer, das Buch überhaupt zu beenden. Die zweite Hälfte des Buches las sich etwas besser.- Mir hat das Buch nicht gefallen.

Stern2-1

Vielen Dank an den Fabulus-Verlag und Literaturtest für das Rezensionsexemplar.

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Götter Book Cover Götter
Will Hofmann
Fantasy?
Fabulus Verlag
03.03.2016
Hardcover
400

In Deutschland gibt es vier geheime Reservate, in denen, nach Geschlechtern getrennt, Männer und Frauen wie Sklaven gehalten und körperlich sowie sexuell durch sogenannte Götter ausgebeutet werden. Diese gebärden sich zu ihrem eigenen Vorteil als Herren über Leben und Tod und führen über ihre Untertanen ein strenges Regiment bis hin zur Todesstrafe.
Diesem Terrorregime entfliehen unabhängig voneinander Agnes und Günter. Sie treffen sich zufällig in der Freiheit, tun sich zusammen und müssen das zivilisierte Leben von Grund auf neu lernen. Mithilfe von Freunden gelingt ihnen dieser Prozess erstaunlich schnell. Zugleich entsteht bei ihnen der Wunsch, die vermeintlichen Götter zu entmachten. Werden sie diesen Kampf erfolgreich bestehen?