Luna von Ian McDonald – Luna 1 – Science Fiction

[Rezension] Ian McDonald: Luna 1 oder „Wenn Drachen kämpfen, brennen alle“

Luna von Ian McDonald wirbt auf der Rückseite: „Luna ist für die SciFi, was Game of Thrones für die Fantasy ist.“ – Tor.com. Natürlich hat mich das neugierig gemacht. Da ich im Januar bereits Arne Ahlerts Moonatics gelesen habe, was sowas wie Der Große Gatsby auf dem Mond ist, war der Sprung nicht weit. Während Moonatics die Lunare Leichtigkeit des Seins zum Thema hatte, erwartete ich bei Luna eher die Lunare Schwere der Verpflichtung, der jedes Mitglied der großen Dynastien unterliegt. Ich wurde nicht enttäuscht.

Luna – Verhandel um dein Leben!

Der versprochene „große Boom“ auf dem Arbeitsmarkt zog viele Glücksritter auf den Mond, um dort elendig zu scheitern. Denn das Leben auf dem Mond folgt anderen Gesetzen als auf der Erde, auch und vor allem im wörtlichen Sinne. Auf Luna gibt es kein Strafrecht, nur Vertragsrecht. Was bedeutet: ALLES ist verhandelbar. So hat jedes Leben seinen Preis.

Aber auch das Leben an sich hat seinen Preis. Jeder Bewohner Lunas trägt einen „Chib“ im Auge, der alles überwacht. Wer sich das Leben nicht leisten kann, der landet in der Gosse. Und während die High Society rund um die großen Dynastien, die Fünf Drachen, sich die edelsten Kleider der 1950er Jahre druckt, bleibt den Arbeitern nicht einmal genug Luft zum Atmen. So verschieden sind Luna und die Erde dann doch nicht.

Als Glücksritter auf den Mond

Marina Calzaghe lebt im Armenviertel unter der Kuppel der Mondstadt Meridian. Seit eine Gebühr für die Ressourcen Wasser, Kohlenstoff, Daten und Luft mit Hilfe eines „Chibs“ im Auge erhoben wird, hat sie Schulden. Trotz eingeschränkter Atmung kann sie sich kaum den Zugang zum Internet leisten. Doch ohne Netz keine Jobs. Und ohne Job kann sie sich die Medikamente für ihren Mitbewohner Blake nicht leisten.

Willkommen bei Familie Corta

„Damit ich meine Familie retten kann, muss ich gegen sie kämpfen.“ S. 226

Die Fünf Drachen sind die großen Dynastien auf Luna. Patriarchin* Adriana Corta gründete ihr Firmenimperium Cortas Heliòs auf dem reichhaltigen Helium-3-Vorkommen des Mondes. Mit 79 Jahren ist es für sie nun an der Zeit, kürzer zu treten. Doch innerhalb der Dynastien herrscht ein ständiger Kampf. Zwar sind die Familien Asamoah und Sun den Cortas wohlgesonnen, die Woronzows eher neutral, aber die Mackenzies stehen in ständiger Rivalität zu ihnen. Corta Heliós soll bald an Adrianas Erstgeborenen Rafa übergehen, doch scheint er für die Leitung einer Dynastie denkbar ungeeignet. Denn der charmante Rafa ist ein von Gefühlen getriebener Hitzkopf, der ausgerechnet mit einer Mackenzie einen Sohn hat. Als er und seine Familie in Gefahr gerät, scheint die Situation zu eskalieren.

(*Patriarchin, weil Frau an der Spitze einer durch Männer geprägten Gesellschaftsstruktur = Patriarchat… Aha.)

Die Fünf Drachen: Wahrheit oder Pflicht?

“Die Fünf Drachen liegen unruhig auf ihren Schätzen.” – S. 163

Und was nach Lovestory klingt, ist keine. Denn Ehen sind hier pures Kalkül. Verlassene Ehemänner treibt der Stolz zur Rache. Kinder sind Zeichen des Reichtums und Waffenstillstands konkurrierender Clans. Sex ist pures Machtgebaren. Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, ist klar.

Die Fünf Drachen folgen eigenen Regeln, stets bemüht, keinen Funken in der hochexplosive testosteron- und geldgetriebene Atmosphäre zu zünden. Und das ist im Grunde auch das, worum es über 500 Seiten geht. Die immer währenden Konflikte zwischen den Dynastien um Macht und Geld. Die Konflikte innerhalb der Familie zwischen Pflicht und hochkochender Emotion. Die Sichtweisen derer, die sich für den Mond entschieden haben, und den Mondgeborenen, die niemals eine Wahl hatten.

Zwischendurch: Kultur, Tradition und Moderne

“In einem Raum am Rande des Sinus Medii sitzen sechs nackte Teenager.” – Erster Satz

In den prachtvollen Städten und Familiensitzen der Drachen pulsiert das Leben. Da Adriana Corta einst in Brasilien lebte, hat sie die Traditionen mit auf den Mond gebracht. Ihre Familie spricht Portugiesisch, die Kinder werden von brasilianischen Leihmüttern großgezogen. João de Deus ist die Stadt der immer kreisenden Läufer, der Farben, der Musik.

Die Mackenzies leben in Crucible, in einer Stadt unter einer gigantischen Stahlkuppel, welche die Strahlung abhält. Denn die australische Familie macht ihr Geld durch die Förderung Metall aus den Minen in der Ödnis.

Der russische Familie Woronzow gehörten die großen Mondschiffe und Cycler, die Schienen und alle Arten der Beförderung auf dem Mond. Darum verwundert es kaum, dass auch ihr Familiensitz seit Jahrzehnten in der Umlaufbahn kreist und niemals landet.

Die Suns wohnen im Palast des Ewigen Lichts. Die Chinesen sind Inhaber der Software-Firma Taijang.

Zuletzt gibt es noch die Naturverbundenen Asamoahs, eine ghanaische Familie, die ihren Reichtum dem Lebensmittelhandel auf dem Mond verdankt. Ihre Welt ist grün und sie halten Tiere. Sie leben in Twé.

 

Glossar und Personenverzeichnis

Ihr seht, der Mond ist ziemlich multi-kulti. Natürlich besteht auch jede dieser Familien auf ihre eigene Sprache. Vermischt mit dem Koreanischen ergibt das ein ziemliches Mond-Kaudawelsh, in das auch das Glossar am Ende des Romans nur spärlich Licht bringen kann. Da zudem alle Dynastien kinderreiche Familien sind, kommen am Ende eine Menge Figuren zusammen, bei denen man schnell den Überblick verlieren kann.

Das Problem ist, dass das Personenverzeichnis die Story der Geschichte teilweise vorwegnimmt. Es spoilert Ereignisse bis Seite 309 von 499! Das hat mich sehr geärgert, und darum habe ich mein eigenes Personenverzeichnis „Wer mit wem?“ angelegt, allerdings nur für die Familie Corta bzw. die handelnden Mackenzies. Den Rest konnte ich mir gut so merken. Vielleicht hilft es euch.

Fazit: Politthriller mit wenig Mond-Feeling

„Der Mond war kein toter Satellit, sondern eine lebendige Welt. Gestaltet von Händen und Herzen und Hoffnungen wie meinen. Hier gab es keine Mutter Natur, keine Gaia, die dem menschlichen Willen entgegenstand. Alles, was lebte, war von uns geschaffen.“ S. 285

Luna ist ein konfliktgetriebener und undurchschaubarer Politthriller auf dem Mond. Mein Highlight waren aber die Strukturen der Städte und Familiensitze auf dem Mond, der Rundgang durch die Gesellschaftsschichten und die fremdartigen Kulturen. Leider bekam man all das nur am Rande mit. Ich hätte mir gewünscht, tiefer in die Mondgesellschaft einzutauchen, nicht nur in die Dynastien. Mit Science hat Luna nicht viel zu tun, trotz einiger lunaren Highlights, so könnte die gleiche Story größtenteils auch auf der Erde spielen.

Die Intrigen der Fünf Drachen zogen sich schon etwas in die Länge. Und im Leben der Mitglieder der High Society fehlte mir jede Emotion. Mir fehlte die Neugier der Jugendlichen, die Fürsorge der Eltern, so wenig dies auch in die vernunftgeprägte Struktur der Dynastien passen würde – oder gerade deshalb. Alles Menschliche ist ihnen fremd, und so ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass mich ausgerechnet die Story der Arbeiterin Marina und der Lebensweg der außerhalb des Familienimperiums lebenden Mitglieder Wagner und Ariel besonders interessierte.

Ich finde es immer schade, wenn ein Roman unter seinem Potenzial bleibt. Ian McDonald hat eine bis ins Detail durchgeplante neue Welt erschaffen, und dann nur die handelnden Charaktere gezeigt. Das ist zwar oft spannend, aber auch einseitig.

Anzumerken ist noch, dass das Cover von Luna wirklich schick aussieht. Die Beschichtung des Mondes fühlt sich an, wie alte Glanzbilder. Luna 2 – Wolfsmond erscheint am 09.05.2017 bei Heyne. Dem Titel nach zu schließen, steht dann Wagner im Fokus des Geschehens. Das würde mich sehr freuen.


Vielen Dank an den Heyne-Verlag für dieses Rezi-Exemplar.


[Übersicht] Ian McDonald – Luna

1. Luna
2. Luna Wolfsmond (erscheint am 09.05.2017 bei Heyne)


Ähnliche Literatur: Moonatics von Arne Ahlert

Die Romane Luna und Moonatics haben eine ähnliche Thematik. Arm gegen Reich auf dem Mond. Die Bildung einer neuen Zivilisation. Die Mitbestimmung über die Zukunft der Menschheit auf dem Mond. Es geht um Intrigen, um Macht, um Geld. Die High Society folgt ihren eigenen Regeln.

Unterschiede: Luna orientiert sich an den Dynastien aus Game of Thrones und ist ein ernstes Stück SciFi. Moonatics ist eine Partygesellschaft wie beim Großen Gatsby (mit Hippies) und ist nicht ganz ernst zu nehmen. Stimmung und Atmo fand ich in beiden Romanen super, allerdings hat Moonatics einfach besser unterhalten. Die über 100 Seiten mehr haben sich viel kürzer angefühlt. Darum gibt es für den ersten Band von Luna nur drei Sterne.

Generell ist es aber eine Frage der Vorliebe. Mögt ihr ernste epische Clankriege: Macht, Verträge, Sex, Intrigen? Dann seid ihr bei Luna richtig. Mögt ihr es lieber schwerelos und verrückt: Drogen, Spaß, Sex, Partys gibts bei den Moonatics.

[Zur Rezi von Moonatics]

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Luna Book Cover Luna
Luna
Ian McDonald
Science Fiction Politthriller
Heyne
12.12.2016
Schickes Taschenbuch
512

Kampf der Fünf Drachen
Die Zukunft: Schon lange ist der Mond den Menschen zu einer zweiten Heimat geworden. Doch auf dem Erdtrabanten geschieht nichts, ohne dass die dort ansässigen, rivalisierenden Wirtschaftsgiganten – die sogenannten Fünf Drachen – davon erfahren. Einer davon ist die Corta Helio Corporation unter dem Vorsitz der Patriarchin Adriana Corta. Als junge Frau musste sich Adriana in der brutalen Mondgesellschaft nach oben kämpfen – und hat sich dabei eine Menge Feinde gemacht. Feinde, die Adriana und ihren Clan nun zu Fall bringen wollen …

3 Gedanken zu „Luna von Ian McDonald – Luna 1 – Science Fiction“

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