[Rezension] Walter Moers: Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr
Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr, der neue groß angekündigte Walter-Moers-Roman, flatterte unlängst in wunderschönem Gewand in mein Regal. Wie habe ich mich gefreut! Ein neuer Zamonienroman! – Die Enttäuschung folgte nach wenigen Seiten: In dem schicken Hardcover steckt wenig Moers – und fast kein Zamonien. Aber von vorn:
Die schlafloseste Prinzessin von ganz Zamonien
Die zamonische Prinzessin Dylia leidet unter einer seltenen Krankheit: Zahllose Nächte liegt sie völlig schlaflos in ihrem königlichem Gemach, während ihr Hofstaat seelig schlummert. Um müde zu werden, läuft die selbst ernannte Prinzessin Insomnia (lat. für Schlaflosigkeit) unzählige Treppen und verliert sich in Tagträumen. Dank ihrer grenzenlosen Phantasie spielt sie mit Worten, ihren Pfauenworten, erdenkt sich Planeten, lauscht ihrer Gehirnmusik und bastelt an ihren Regenbogenerfindungen. Langeweile, das gibt es in der Welt des schlaflosen Prinzessin nicht.
Nach 18-nächtiger Schlaflosigkeit gesellt sich ein Gnom zu ihr: Havarius Opal ziert eine alptraumfarbene Haut, mosaikartig und farbwechselnd. Er hat sie auserwählt und will sie von nun an mit Alpträumen in den Wahnsinn treiben. Doch statt aufzugeben, lässt die toughe Prinzessin sich auf eine abenteuerliche Reise durch ihr Gehirn ein, die sie in die schreckliche Stadt Amygdala führt, wo das dunkle Herz der Nacht regiert und ihre Ängste, Zweifel und Depressionen sich verstecken.
„Wer sich in Gefahr begibt, hieß es, der kommt darin um. Aber wer in Sicherheit bleibt, langweilt sich zu Tode. Sollte man mit dem Leben aufhören, nur weil man daran sterben konnte?“ – S. 307
Bunte Gedankenwelt & monotone Dialogspirale
Prinzessin Dylia liebt Worte und die Sprache. In ihrer Gedankenwelt tummeln sich daher allerhand wilde Wortkreationen und -spiele sowie ihre Pfauenwörter, selten verwendete Begriffe, die im Fließtext farbig hervorspringen. Diese versucht sie in ihren Alltag einzubinden, wodurch jeder Tag ein farbenfrohes und vor allem wortgewaltiges Gedankenspiel wird. Von Dylias Leidenschaft zur Sprache und ihren Regenbogenerfindungen handelt das erste Viertel des Buches, was sich bunt aber zäh liest.
Dann endlich tritt Opal in Dylias Leben. Der Gnom soll die Prinzessin mit schrecklichen Alpträumen in den Wahnsinn treiben, stellt sich aber nicht sehr geschickt an und zeigt eine ganz und gar „menschliche“ Seite während des Abenteuers. Dylia wähnte ich zu keiner Zeit in Gefahr. Doch ohne Bösewicht keine Spannung!
Dazu kommt, dass Dylias und Opals Reise ins Gehirn aus einem schier ewigen Dialog der beiden einzigen (menschenähnlichen) Charaktere besteht, der zusehends monotoner wird. Immer wieder hakt Dylia in wichtigen Fragen wie „Opals offensichtliches Geheimnis“ nicht nach, während Wortkreationen wie das „Flimmen“ schier endlos wiederholt und ausdiskutiert werden. Zum Mäusemelken!
Etwas schade fand ich auch die ständigen Wiederholungen und Aufzählungen, die sich von Anfang an durch das Abenteuer ziehen. Die Pfauenworte beispielsweise sind ständige Wegbegleiter. Doch durch sie wird die Geschichte zeitweise auch vorhersehbar.
Im Vergleich zu früheren Werken: Ein echter Moers?
Ich kann kaum in Worte fassen, wie wenig Walter Moers´ neustes Buch mit den bisherigen Zamonien-Romanen gemein hat.
Prinzessin Insomnia spielt im Gehirn der zamonischen Prinzessin, nicht auf dem Kontiment Zamonien; weiter ins Detail geht Moers hier nicht. Neben den Zergessern, Thalamiten, Egozetten und Grillos bevölkern auch die Zwielichtzwerge Dylias Gehirn. Diese habe ich mir herausgepickt, um sie direkt mit den Buchlingen aus Buchhaim zu vergleichen. Beides sind in großer Anzahl vorkommende Figuren, die wichtig für die Story sind und häufig in den Illustrationen zu finden sind. Ein Bild zum direkten Vergleich findet ihr rechts.
Prinzessin Insomnia ist Walter Moers´ erster Roman, den er nicht selbst illustrierte. Lydia Rodes Aquarelle zieren nahezu jede Seite des Romans und sind wirklich sehr bunt. Ein Stilwechsel hier ist also unvermeidbar.
Was mich aber wirklich stört ist der inhaltliche Wandel von den Zamonienromanen zu Prinzessin Insomnia. So scheinen die „Gedanken“, die Dylias Gehirn bewohnen, keinerlei Schattenseiten oder Persönlichkeit zu besitzen, während die „Monster“ klischeehaft böse aber eher passiv sind. Für Dylia stellten sie meiner Empfindung nach zu keiner Zeit eine Gefahr da, ebenso wie der unbeholfene Gnom, den man zeitweise einfach gern haben muss.
„Einmal im Leben wirklich absolut einzigartig zu sein. Teil von etwas Singulärem. Und dann etwas zu tun, was völlig unmöglich ist. Einen Knoten in die Zeit zu machen – auch wenn es nur für eine Sekunde ist. Einen Wasserfall hinaufzuschwimmen, gegen den Strom. Deine Initialen ins Universum schnitzen. Irgendwas in der Art.“ S. 83/84
Wissenswertes: Dylia ist ein Anagramm von Lydia.
Illustratorin Lydia Rode ist zeitgleich Namensgeberin für die wissbegierige Prinzessin. Denn wie Dylia leidet sie unter extremer Schlaflosigkeit, welche Begleiterscheinung ihrer schweren Krankheit CFS, dem Chronischen Fatigue- und Erschöpfungssyndrom, ist. Bei dieser Krankheit verursacht selbst einfache körperliche oder geistige Anstrengung große Erschöpfung. Walter Moers und Lydia Rode wollen mit dem Roman Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr, einst als Kurzgeschichte geplant, auf die Krankheit aufmerksam machen.
[Weitere Infos: Deutsche Gesellschaft für ME/CFS.]
Fazit: Nicht schlecht, aber kein Zamonienroman
Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr ist kein schlechtes Buch. Es allerdings als neusten Band der Zamonien-Reihe zu deklarieren, schafft Erwartungen, die der Roman schlicht nicht halten kann.
Der Roman kombiniert die Gegensätze einer melancholische Schwere durch die literarische Aufarbeitung einer ernsten Krankheit mit lebhafter Kreativität und bunten, hoffnungsvollen Illustrationen. Dieser Stilbruch verleiht ihm mitunter Tiefe, was aber deutlich auf Kosten der Spannung geht.
Neben „Ensel und Krete“ ist Prinzessin Insomnia einer der kurzen Zamonien-Romane, allerdings las er sich für mich durch ständige Wiederholungen sehr langatmig. Story und Dialoge liefen häufig in die falsche Richtung und ignorierten gekonnt jeden aufgeworfenen Konflikt, was mich frustrierte.
Prinzessin Insomnia ist ein buntes aber melancholisches Märchen für Liebhaber von Sprachvielfalt und grenzenloser Phantasie. Für Moers-Fans in Erwartung eines neuen Zamonien-Abenteuers jedoch enttäuschend.
[Vielen Dank an den Knaus-Verlag für dieses Rezi-Exemplar.]
Vom Bauchgefühl las sich Prinzessin Insomnia für mich wie eine Mischung aus „Es war einmal das Leben“ (ohne anatomischen Bildungswert) und Jonathan Strouds düsterem All-Age-Roman „Bartimäus“ [Rezi], in dem der junge Zauberlehrling Nathanael einen Pakt mit einem bösen Dschinn Bartimäus eingeht.
[Übersicht] Walter Moers: Zamonien-Romane
1. Die 13 1/2 Leben des Käpt´n Blaubär
2. Ensel und Krete
3. Rumo und Die Wunder im Dunkeln
4. Die Stadt der träumenden Bücher
5. Der Schrecksenmeister
6. Das Labyrinth der träumenden Bücher
7. Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr
8. Das Schloss der träumenden Bücher (wurde bis auf Weiteres verschoben)
Demnächst: Graphic Novels
1. Die Stadt der träumenden Bücher: Buchhaim (6.11.2017)
2. Die Stadt der träuemnden Bücher: Die Katakomben (9.01.2018)
Zamonien 7
Fantasy
Knaus Verlag
28.08.2017
Wunderschönes Hardcover mit Illustrationen
344
Eine traumhafte Liebesgeschichte und eine Reise durch das menschliche Gehirn als rasantes zamonisches Abenteuer
Prinzessin Dylia, die sich selbst „Prinzessin Insomnia“ nennt, ist die schlafloseste Prinzessin von ganz Zamonien. Eines Nachts erhält sie Besuch von einem alptraumfarbenen Nachtmahr. Havarius Opal, wie sich der ebenso beängstigende wie sympathische Gnom vorstellt, kündigt an, die Prinzessin in den Wahnsinn treiben zu wollen. Vorher nimmt er die Prinzessin aber noch mit auf eine abenteuerliche Reise durch die Welt des Denkens und Träumens, die für beide immer neue und überraschende Wendungen bereit hält, bis sie schließlich zum dunklen Herz der Nacht gelangen. Walter Moers erzählt dieses Märchen aus der zamonischen Spätromantik voller skurriler Charaktere mit der ihm eigenen Komik: spannend und anrührend zugleich.
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