[Rezension] Sicht unsichtbar (Schnyder & Meier 3) von Gabriela Kasperski oder Im Dorfe sind die Ökos los!
Sicht unsichtbar ist der dritte Fall des ungleichen Ermittlerduos Schnyder & Meier. Dem Klappentext nach zu urteilen handelt es sich um einen herzhaft-herzlichen Chaos-Krimi mit Augenzwinkern, was ausschlaggebend für meine Wahl war. Tatsächlich kam der Krimi elegant garniert im hochwertigen TB aus dem Hause Storybakery (.CH). Ich bin (sowas von) gespannt!
Im Dorfe sind die Ökos los!
„Für sie waren die Menschen wie Marionetten, die einen Tanz aufführten, während sie von Ferne zusah.“ S. 37
Gestern erst hatte die Gemeindeversammlung des Dorfes Waldbach dem Projekt VillageGreen zugestimmt, einem ökologischen Luxusresort inmitten des Naturschutzgebiets Silberbirke. Heute findet sie eine Leiche auf Aussichtsplattform in ebendiesem Gebiet am Greifensee. Umringt von einer Wolke Fliegen, ist der Tote ziemlich sicher einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Keine 12 Stunden zuvor hatte er sein Grundstück zugunsten des Luxusresorts an Felix C. Blauwyler abgetreten. Ein ganzes Dorf rätselt: Wurde Johan Havemann Opfer privater Streitigkeiten oder hat er sich die nicht zu unterschätzenden Gegnern der Ökorevolution zum Feinde gemacht?
Die Taufe des kleinen Finn steht kurz bevor, und so drehen nicht nur die Eltern, Zita Schnyder und Commissario Werner Meier, durch. Die Patin hängt am Flughafen fest, der Backofen der Gastgeberin streikt und zu allem Überfluss frisst auch noch der Hund den Hackbraten. Die Info- und Namensdichte der ersten 40 Seiten haute mich glatt aus den Schlappen. Genau richtig so: Alle Charaktere, die ich in den ersten zwei Teilen verpasst habe, plapperten und panikten sich sofort in mein Leserherz. – Was für ein kunterbunter Haufen!
Any Questions? Amen!
Sicht unsichtbar ist ein erfrischender Provinz-Krimi, ein bildgewaltiger Kurztrip in die Natur nahe Zürich.
Das abgesteckte Terrain rund um den Greifensee dient dabei als riesiger Naturspielplatz – mit allem, was das Räuber-und-Gendarmen-Herz begehrt: Versteckte Unterschlüpfe, verborgene Beobachtungsposten, eine brodelnde Gerüchteküche, ein dorfinternes Stille-Post-System. Die Location eignet sich super für allerhand verworrene Handlungsstränge, glaubhafte Begegnungen, gemeine Intrigen.
Ein Dorf voller Interessenskonflikte, und neben vielen liebevollen Details wie Komik und Sprachwitz sehe ich gerade dort die Stärke des Krimis: In den konfliktgetriebenen Charakteren.
Beim Nachdenken über Vorbilder scheut Jesus den Vergleich mit Justin Bieber nicht, das Abendmahl muss laktose- und glutenfrei sein, weiß der Pfarrer. Pfadfinder sein ist „wie gamen, bloß besser!“, findet Baghira alias Tim, der Zivi der Silberbirke, und während Helen in ihrem Poetenschlammrausch wegen eines Poetry Slams alle nervt, ermittelt die rosa-kraushaarige Beanie Barras undercover nach dem Infoleck innerhalb der Polizeitruppe und Felix Blauwyler kann sich vor liebeskranker Frauen kaum retten.
Gabriela Kasperskis Schreibstil sprüht vor Situationskomik. Stets die Grenze zur Albernheit vor Augen führend, aber nie überschreitend, dreht ein ganzes Dorf am Rad, aber nie takt- oder sinnlos.
Ein Hühnerstall von einem Dorf
Konsequent nennt Zita ihren Bloß-nicht-Ehemann nur Commissario oder Meier. Sie ist Psychologin in Babypause, unglücklich, weil ihr ebendas fehlt: Eine Pause vom Baby. Als Frau an der Seite des vielbeschäftigten und hexenschussgeplagten Commissario fühlt sie sich oft alleinerziehend. In ihrer Übergangsbleibe in Helens Dachzimmer fällt ihr die Decke auf den Kopf, verlässt sie das Haus, bekommt sie den reinsten Provinzkoller. Still beneidet sie Meier um dessen berufliche Aktivität, bis sie es nicht mehr aushält.
Nein, der Commissario hats nicht leicht in diesem Haufen wilder Hühner, verrückter Zeitgenossen und profitgieriger Businessmen, die das Dorf überfluten. Zu allem Überfluss läuft es auch nicht mit Zita, die, alle Spießigkeit verachtend, jeden Hauch einer chauvinistischen Äußerung im Keim erstickt und mit einer Feuerwand ungezügeltem Freiheitsdrangs plattwalzt. Meier ist völlig überfordert, dabei will er doch nur Papa sein.
Poetenschlammschlacht
Ein Manko gabs dann doch: Der „hippe“ Sprachstil, der, die Kurzweiligkeit der heutigen Zeit überspitzt darstellend, ungewollt selbst teils überholt, teils vor seiner Zeit, scheint. Auf die Gefahr hin, dass ich vielleicht nicht up-to-date sein könnte: „Wer hat was zu fooden?“ (S.159) scheint mir etwas vor seiner Zeit zu sein, der CD/MP3-Konflikt etwas nachzuhinken. Gerade im letzten Viertel des Buches ging mir Helen auf die Nerven, jedes mal wenn sie im Internet „segelte“ oder wenns um den Poetenschlamm ging: Das war mir zuviel drollige-Omi-Charme, zuviel des Guten, zu viele Wiederholungen; da fehlten neue Ideen, um es frisch über 400 Seiten zu schaffen.
Reiheneinstieg bei Fall 3?
Der Einstieg bei Fall 3 war nicht optimal, aber möglich. Es wimmelt von geteilter Vergangenheit, schnell merkte ich, dass im Dorf eine Menge Ungesagtes und vielleicht auch Verpasstes geschehen war, was sich größtenteils nach 40 Seiten aufklärte.
Einige Fragen blieben aber lange Zeit, teilweise bis Ende, bestehen: Was (zum Henker) macht eine toughe und freiheitsliebende Frau wie Zita in einem Dorf wie Waldbach, einer kleinen Gemeinde, einer engen Gemeinschaft? Was kann man karmatechnisch verbockt haben, um mit einem Hexenschuss in Meiers Ausmaßen gestraft zu werden? Was war zwischen Helen und Marie vorgefallen? Wieso wurde der Verursacher von Helens Poetry-Trip nicht von ihrem Umfeld zur Rechenschaft gezogen? Warum scheinen mir Marie und Wolfi Bühler nicht so recht in die Story zu passen? Warum fliegen Damen jeden Alters auf Felix C. Blauwyler?
Fazit mit Auge fürs Detail
Sicht unsichtbar von Gabriela Kasperski hat mir großen Spaß gemacht. Als Provinz-Krimi mit Augenzwinkern war es eine gelungene Abwechslung zu meinen sonstigen Gebieten: Provinz vs. Dystopie und britischer Krimi (mit Augenzwinkern) vs deutschsprachiger. Ich war durchweg positiv überrascht und empfehle das Buch als chaotisch-verrückten Provinz-Krimi mit Charme für Zwischendurch.
Bei der Suche nach Fall 1 & 2 fürs Bücherregal ist mir aufgefallen, dass es Band 1 bei Readfy gibt und als TB für 17 Euro. Band 2 aber gibt es (nebenst eBook-Version für 15 €) nur gebunden und neu für satte 44 Euro. (Ja, so hab ich auch gestaunt.) Für mich ist das leider nicht möglich, und so hoffe ich auf baldige TB-Neuauflage zum angemessenen Preis. Das TB zu Band 3 kostet 20,90€ für etwas über 400 Seiten, aber es ist stabil und sieht auch nach einmaligem Lesen absolut neuwertig aus. Ich liebe Verlage mit Auge fürs Detail.
Vielen Dank an Storybakery.ch und Literaturtest für das Rezensionsexemplar.
[Übersicht] Gabriela Kasperski – Schnyder & Meier
Schnyder und Meier 3
Provinz-Krimi
Storybakery.ch
20.04.2016
hochwertiges Taschenbuch
408
Wer hat Pensionsbesitzer Johan Havemann erschlagen? Der Verdacht fällt auf den Ranger des Naturschutzgebiets Silberbirke. Doch das gewinnorientierte Luxus-Öko-Projekt VillageGreen bringt verseuchte Geheimnisse und eine tragische Familiengeschichte zutage. Der begeisterte Vater Werner Meier ermittelt mit Hexenschuss und Snugly, während sich Zita, geplagt von der ultimativen Provinz-Krise, in die Pension Seeblick am idyllischen Greifensee zurückzieht, ausgerechnet dorthin, wo alle Fäden zusammenlaufen.
Ein Gedanke zu „Sicht unsichtbar von Gabriela Kasperski“
Kommentare sind geschlossen.