H.P. Lovecraft Das Werk Fischer Tor Leslie S. Klinger

H.P. Lovecraft – Das Werk (Fischer Tor, 2017) Hrsg.: Leslie S. Klinger

H.P. Lovecraft Das Werk Fischer Tor Leslie S. Klinger[Reingeschaut] Monströs: H. P. Lovecraft – Das Werk

H.P. Lovecraft – Das Werk erschien als kommentierter Schmuckband Ende 2017 bei Fischer Tor und landete flugs unter unserem Weihnachtsbaum. Zusammengestellt wurde die Neuausgabe von Leslie S. Klinger, der in weiteren Ausgaben bereits u.a. die Sherlock Holmes-Werke, die Graphic Novels „Sandman“ von Neil Gaiman und „Watchmen“ von Alan Moore kommentierte. #Musthave

Natürlich soll dies keine vollständig Rezension der 912 Seiten starken Neuübersetzung werden; vielmehr habe ich neugierig einen Blick riskiert, mich völlig intuitiv durch die Seiten gewühlt, mir das Spannendste rausgepickt und gecheckt, was dieses monströse Werk zu bieten hat. Kurz: Ich habe mal reingeschaut. #newcategory

H.P. Love…what?

„Das ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt.“

Wer H.P. Lovecraft nicht kennt, ist hier falsch. Als umstrittener Autor eines ganzen Horror-Universums gilt er neben Edgar Allen Poe als Begründer des modernen Horror-Genres. Wer Horror liest, wird früher oder später über seine Geschichten stolpern. Zahlreiche Relationen verbinden moderne Werke mit dem Grauen des Cthulhu-Mythos. [Meine erste Begegnung mit Lovecraft hatte ich Ende der 1990er in W. Hohlbeins „Der Magier“-Reihe.] Noch immer werden Lovecrafts Geschichten in Pen-&-Paper-, Rollen- & Brettspielen und Videogames umgesetzt und junger & nerdiger Leserschaft so zugänglich gemacht. Ihr seht, H.P. Lovecrafts Stories haben auch 80 Jahre nach seinem Tod nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

Besonders an Lovecrafts Stories ist der doppelte Boden. Den düsteren Geschehnissen, mit denen sich seine Protagonisten meist konfrontiert sehen, liegt dunkle Magie zu Grunde: Im Necronomicon, dem Buch der Toten, beschreibt Lovecraft den Cthulhu-Mythos, die Großen Alten als Götter oder Dämonen vergangener Zeit, die sich ihren Weg aus versunkenen Kerkern in die Gegenwart des New Englands des 20. Jahrhunderts zurück bahnen. Diese Magie gerät regelmäßig in falsche Hände: In die Hände düsterer Magier oder eines mysteriösen Kults, dem in nebeligen Hafendörfern des Nachts gefrönt wird. Das Ausmaß des in den Schatten lauernden Grauens wird den Protagonisten meist zu spät bewusst. Lovecraft schrieb dabei nicht nur die Horror-Stories, sondern auch das zu Grunde liegende Necronomicon selbst. Absolut geheimnisvoll, rätselhaft und beängstigend in Zeiten vor Google!

Inhalt: Alles oder nichts?

„Allein das Verhältnis des Menschen zum Kosmos – zum Unbekannten – entzündet in mir den Funken der schöpferischen Imagination…“ – H.P. Lovecraft (S. 13)

Auch ohne Schutzumschlag echt schnieke! (*_*)

Allein der Länge wegen kann die Sammlung an Lovecraft Stories nicht vollständig sein. Bei der Zusammenstellung der 22 fürs Buch ausgewählten Stories, achtete Herausgeber Leslie S. Klinger darauf, dass sie den „besten Eindruck vom Arkham-Zyklus vermitteln“. Absolut subjektiv also…. aber, wie ich finde, sehr abwechslungsreich und gelungen. Hier das vollständige Geschichtenverzeichnis:

1. Dagon. 2. Randolph Carters Aussage. 3. Jenseits der Mauer des Schlafes. 4. Nyarlathotep. 5. Das Bild im Haus. 6. Herbert West, Wiedererwecker. 7. Die namenlose Stadt. 8. Der Hund. 9. Das Fest. 10. Das Unsagbare. 11. Cthulhus Ruf. 12. Der silberne Ruf. 13. Der Fall Charles Dexter Ward. 14. Die Farbe aus dem All. 15. Das Grauen von Dunwich. 16. Der Flüsterer im Dunkeln. 17. An den Bergen des Wahnsinns. 18. Der Schatten über Innsmouth. 19. Die Träume im Hexenhaus. 20. Das Ding auf der Schwelle. 21. Der Schatten aus der Zeit. 22. Der Schrecken der Finsternis.

Anders als erwartet, finden hier tatsächlich nicht nur die Kurzgeschichten, sondern auch die als Roman veröffentlichten Werke Platz. (Ich erinnere mich an lilane Suhrkamp-Romane aus der Bibliothek: schmal wie ein Bleistift, alt wie Methusalem, aber ich: stolz wie Oskar, dass ich sie lesen konnte. #deraltmannerzähltwiedervomkrieg) Neben den Klassikern finden sich hier auch Kurzgeschichten, die ich noch nicht kenne, obwohl ich dachte, ich hätte „alles“ von Lovecraft gelesen. Aber ich habe auch nie Liste geführt. Einige Stories habe ich mir nun markiert und werde einiges neu lesen, an verregneten Nachmittagen, an kalten Wochenenden.

Alles oder nichts? – Antwort: Von allem etwas.

Ausgabe: Schmuck oder Schund?

Einige Zahlen: Auf 912 Seiten liefern über 300 oft farbige Abbildungen und 1000 Kommentare allerhand Hintergrundinfos zu den Geschichten. Ja, die „große kommentierte Ausgabe“ hält, was sie verspricht: Sie ist rie-sig. Im Vergleich in etwa 2x so groß wie ein normales HC und 3-fach so groß wie ein TB, dick wie ne Flasche und schwer wie ein Sixpack. Dieses Buch liest niemand unterwegs!

Typischer Aufbau des kommentierten Storyparts mit Bildern. ©Fischer

Und innen? Dort fallen die zahlreichen Abbildungen sofort ins Auge: Alte Fotos, Dokumente, Zeichnungen und Karten ergänzen die fein recherchierten Erläuterungen. Im Vorwort finden sich zahlreiche Fußnoten mit weiterführenden Quellen, für die, die es ganz genau wissen wollen. Später finden sich am Rande der Stories rot gedruckte Kommentare, umgeben von Bildern der Schauplätze und den Covern und Illustrationen der originalen Weird-Tales-Ausgaben, in denen sie veröffentlicht wurden. Hier gibt es die geballte Info-Power für Liebhaber des Horror-Genres!

Meine Favoriten waren hier eindeutig eine Karten von Arkham (1934) und Innsmouth, die von Lovecraft selbst gezeichnet wurden (S.105, S. 659), wohl wegen der Ähnlichkeit zum Spielbrett von Arkham Horror. Außerdem die erste Seite seines Manuskripts von „An den Bergen des Wahnsinns“ (S. 527; weitere vorhanden) und Zeichnungen aus Briefen, die Lovecraft schrieb (Die verfluchte Heide; S. 411).

In den Anhängen befinden sich zahlreiche Extras: Eine Zeittafel zu Ereignissen in Lovecrafts Werken, alle Lehrkörper an der Miskatonic University, Die Geschichte des Necronomicons (Eine Skizze) von Lovecraft persönlich, Stammbaum der Älteren Rassen, ein Verzeichnis aller Erzählungen, (etc etc etc), Lovecraft in der Popkultur & im deutschen Sprachraum. Allein schon deshalb gehört der Band ab jetzt als Ergänzung bei Arkham-Horror-Abenden mit auf den ohnehin schon zu keinen Tisch.

Schmuck oder Schund? – Oh la la: Schmuck! (*_*)

Was heißt hier Neu?!

Gut 70 klein gedruckte Seiten umfasst das „Vorspiel“ bis zur ersten Story. Beleuchtet wird hier umfassend Lovecrafts Leben von 1890 – 1937, seine Familie, historische Einflüsse und damit verbundene Ängste, mit denen er zu Lebzeiten konfrontiert wurde. Welchen Einfluss hatten diese auf seine Persönlichkeit und auch sein Werk? Zudem gibt es einen ausführlichen Rückblick auf die Horrorliteratur vor, während & nach Lovecrafts Werken. Der Umfang dieser Informationen ist weit tiefer, als man sie im Wiki nachlesen oder ergooglen könnte. Belegt mit Dokumenten & Bildern entsteht so schnell ein Bild vor Augen, von einem jungen Schriftsteller, der selbst sein größter Feind war.

„Nicht zuletzt waren es Lovecrafts problematische Positionen zu den gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit, sein Rassismus, seine mutmaßliche Frauenfeindlichkeit, sein Klassendünkel, seine Verurteilung der Homosexualität und sein Antisemitismus, die lange verhindert haben, dass sein Werk als seriöse Literatur anerkannt wurde.“-S. 9

Apropos Feind: Besonders gut gefällt mir, wie offen die Autoren mit der Kritik an Lovecrafts Ansichten umgehen. Bereits auf der ersten Seite des Vorworts wird dieser als Mann voller Phobien & Fremdenhass charakterisiert. Dass es dennoch eine Lovecraft-Forschung gibt, die seine Werke in historischen Kontext stellen, die aber auch versucht, sie vollständig und durchaus auch kritisch zu durchleuchten, finde ich gut. Dies ist Ausgangspunkt und Basis für alle weiteren Kapitel.

Neues erfahren? – Antwort: Ja, allerhand sogar! Vor allem aber hat sich mein Blickwinkel auf Lovecraft verschoben: Vom mysteriösen und unnahbaren Autoren zum vielschichtigen Charakter mit all seinen Stärken, Schwächen und Phobien.

Fazit: Das ultimative Lovecraft-Paket für Horror-Fans!

H.P. Lovecraft – Das Werk kostet – haltet euch fest – stolze 68 Euro. Das ist allerhand Schotter, wenn man bedenkt, dass die englischen Originaltexte mittlerweile als [gemeinfrei] gelten und kostenlos gelesen werden können. Dennoch bietet der Prachtband alles, was das Horrorfan-Herz begeht, beschränkt sich dabei fairerweise nicht auf diese Zielgruppe, sondern beleuchtet alle Seiten des umstrittenen Autoren Lovecraft: Auch für Skeptiker geeignet.

Düsterbunte Informationsfülle. ©Fischer

Als informationsgeladener und abwechslungsreicher Brocken Literatur bietet diese Ausgabe dem Leser weit mehr als die bloßen Stories: Weit präziser als jedes Suchmaschinenergebnis beleuchtet er Lovecrafts Leben, untersucht gar wissenschaftlich seine Bedeutung für die Literatur seiner und unserer Zeit, gestaltet alle Stories anschaulich mit zahlreichen Abbildungen, gewährt mit abgedruckten Briefen und Manuskriptseiten einen ganz persönlichen Einblick in sein Autorenleben und kommentiert zudem die bedeutendsten Texte in neuer Übersetzung detailliert und durchaus kritisch.

Eine hervorragend zusammengestellte Schatzkiste fürs Regal, die meine Erwartungen mehr als erfüllt hat. Das perfekte Geschenk für Literatur-, Brettspiel-, P&P- und Horrorbegeisterte.


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Die Alternative: Fischer Tor Prachtband: „H.P. Lovecraft – Das Werk“ vs. Festa „Chronik des Cthulhu-Mythos“

Wer bereits die „Chronik des Cthulhu-Mythos I & II“ aus dem Festa Verlag besitzt, für den lohnt eine Neuanschaffung des Schmuckbands kaum. Die ausgewählten Stories stimmen bis auf 2-3 Abweichungen überein. Der Schmuckband umfasst einige Stories extra, die bei Festa erst in den Kurzgeschichten-Sammelbänden 3 & 4 vorkommen. Dafür kosten die Festa-Bände mit je 500 Seiten auch moderate 14 € pro Stück. Allerdings finde ich die Qualität der Kommentare & Erläuterungen bei Fischer weit hochwertiger. Während es im Prachtband kaum eine Seite ohne Bilder, Skizzen oder Fotos gibt, umfassen die Festa-Seiten puren Text; Hintergründe zu den Stories finden sich hier als kurzes „Vorwort“ vor den Texten.

Fazit: Wer eine möglichst vollständige Sammlung an Lovecraft-Stories im Regal haben möchte und dabei keinerlei Wert auf „Schnickschnack“ legt, dem empfehle ich die vier Festa-Bände. Wer möglichst viele anschaulich dokumentierte und sorgfältig recherchierte Hintergrundinfos zu Lovecrafts Leben und Werk & einer prägnanten Auswahl seiner Werke lesen möchte, der ist bei der Fischer Tor-Ausgabe richtig. Preislich tut sich das (bei 4 vs. 1) unter dem Strich auch nicht mehr so viel.


Schon 2016 habe ich im Rahmen meiner Schocktober-Aktion gebloggt: [Gute Gründe, H.P. Lovecraft zu lesen].

[Vielen Dank an den einen Mann, der mir sein Geschenk zu Rezi-Zwecken zur Verfügung gestellt hat. <3]

H.P. Lovecraft - Das Werk Book Cover H.P. Lovecraft - Das Werk
H.P. Lovecraft, Leslie S. Klinger
Horror & Sachbuch-Kombi
Fischer Tor
21.09.2017
Prachtausgabe Hardcover
912

»H. P. Lovecraft – Das Werk« ist ein aufwändig ausgestatteter Prachtband, der alle wichtigen Arkham-Erzählungen in sorgfältiger Neuübersetzung enthält. Rund 300 oft vierfarbige Abbildungen zeigen Originalillustrationen, Cover, Filmplakate, Originalschauplätze und vieles mehr. Über 1000 Anmerkungen beleuchten sämtliche Aspekte von Lovecrafts Leben und Werk. Die definitive Ausgabe für alle Lovecraft-Fans, Horror-Experten und Freunde schöner Bücher.
H. P. Lovecraft ist neben Edgar Allan Poe DER Klassiker der modernen Horrorliteratur. Seine phantastischen Erzählungen erscheinen, im Original wie auch in zahlreiche Sprachen übersetzt, in hohen Auflagen und finden weltweit allergrößte Leserresonanz. Leslie S. Klinger präsentiert in »H. P. Lovecraft – Das Werk« die besten Erzählungen, reich bebildert und mit einem ausführlichen Kommentar versehen.
Der Neuübersetzung aus der Feder zweier ausgewiesener Lovecraft-Kenner gelingt es erstmals, Lovecrafts speziellen Stil und die besondere Atmosphäre seiner Erzählungen in deutscher Sprache schillern zu lassen.
»Sowohl dem glücklichen Leser, der sich zum ersten Mal in das verlockende Dickicht von Lovecrafts Prosa wagt, als auch dem erfahrenen Verehrer der Älteren Götter garantiert dieses unerlässliche Buch eine Fülle neuer Erkenntnisse. Mit dieser Ausgabe lesen wir den vielleicht bedeutendsten unheimlich-phantastischen Autor, der je gelebt hat, völlig neu.« Alan Moore