[Rezension] Nnedi Okorafor: Wer fürchtet den Tod (ungekürztes Hörbuch)
Wer fürchtet den Tod? Die nigerianisch-amerikanische Autorin Nnedi Okorafor steht seit Erscheinen ihres Überraschungserfolgs „Lagune“ weit oben auf meiner Leseliste. Mit ihrem Mix aus SciFi und der Mystik der afrikanischen Tradition und Kultur, genannt „Afrofuturismus“ (man lernt nie aus), gelang ihr 2016 der Sprung in die Bestsellerlisten. Nnedi Okorafor lebt in den USA, wo sie den Lehrstuhl für „Creative Writing“ der Universität von Buffalo inne hat. Derzeit schreibt sie Marvel-Comics: Die „Black Panther – Long Live the King“-Comics erscheinen ab Juni 2018 auch auf Englisch. [Infos bei Amazon]
Wer fürchtet den Tod ist Nnedi Okorafors Debüt-Roman. Trotz einer Laufzeit von über 15 Stunden habe ich mich für die Hörbuch-Version, gesprochen von Gabriele Blum, aus dem Lübbe-Audio-Verlag entschieden, die im Dez. 2017 erschien. Das Hörbuch ist sehr emotional gesprochen, was mir angesichts des Themas teils unangenehm war. Dazu später mehr.
Wer fürchtet den Tod?
Gezeugt bei der Vergewaltigung ihrer dunkelhäutigen Mutter, einer Okeke, durch einen hellhäutigen Nuru, trägt Onyesonwu die Umstände ihrer Zeugung für jedermann sichtbar mit sich herum: Ihre Haut ist die eines Ewu-Mädchens, eines Mischlings. Ihr Name, den ihre Mutter ihr gab, bedeutet „Wer fürchtet den Tod“. Ihr Leben verbringen ihre Mutter und sie als Ausgestoßene außerhalb der Städte, bis Onye zur Schule gehen soll. Sie lassen sich im Dorf Jwahir nieder, wo Onye mit neuen Problemen konfrontiert wird. Dabei bestätigt die Ablehnung ihres Umfelds den Wunsch des mittlerweile 15-jährigen Mädchens: Sie möchte ihren leiblichen Vater töten. Für ihre Mutter, sich selbst und für das von den Nuru unterdrückte Volk. Um jeden Preis.
Eine Reise durchs magisch-traditionelle Afrika
In Jwahir schwankt Onye zwischen Tradition und eigenem Willen. Was erwartet man von dem Mädchen, wie weit muss sie sich als Mädchen fügen, um akzeptiert zu werden? Letztendlich hatte ihre Mutter ihr beigebracht, eigene Entscheidungen zu treffen. Doch die bringen ihr keine Freunde, keinen Anschluss, lassen sie sich nicht „normal“ fühlen. Obwohl sie im Laufe der Zeit Freundinnen findet: Luyu, Diti und Binta, und auch einen Freund, Mwita, der ebenfalls Ewu ist, merkt Onye, dass etwas nicht mit ihr stimmt. Als sie sich später in einen Geier verwandelt, gerät Onyes Leben aus den Fugen – doch lockt es mit ungeahnt magischen Möglichkeiten…
Fast abgebrochen: Einfach zu harter Stoff.
Nach den ersten Szenen des Buches hätte ich es am liebsten an die Wand geworfen. Seit Monaten freute ich mich auf ein mystisches Abenteuer, doch die Realität ist so viel schwerer zu ertragen. Das Buch startet mit zwei heftigen und unschönen Szenen: Der Vergewaltigung von Onyes Mutter durch den Nuru während eines Überfalls, sowie die Beschneidung dreier junger Mädchen, wie sie in vielen Regionen Afrikas auch heute noch üblich ist. Beides emotional geschildert, bedrückend und bewegend; letztere Situation aus der Ich-Perspektive des hilflosen Mädchens. Ich meide solche Romane, wenn auch ich es generell wichtig und richtig finde, auf Missstände aufmerksam zu machen. In Romane, die ich in meiner Freizeit prinzipiell „zum Spaß“ lese, gehört so etwas nicht.
Was mich zögern ließ, war ein Ereignis während der elften Zeremonie, das mich nochmals motivierte, dranzubleiben: Onye wird unsichtbar, verschwindet in eine Art Parallelwelt. Der Roman startet in einer Szene, in der Onye auf der Beerdigung ihres Vaters (noch bedrückender) Aufmerksamkeit auf sich zog, weil sie die Leiche kurzzeitig zum Atmen brachte. Was also steckt hinter dem Mädchen, das vom Dorf wegen ihrer vergleichsweise hellen Haut als Außenseiter behandelt wurde? Ich hörte noch einige Kapitel weiter und der dem Buch innewohnende Zauber begann zu wirken.
Mädchen sind gefährlich und unfähig!
Nach den Ereignissen im Dorf bittet Onye den Zauberer Aro, sie auszubilden. Doch der alte Kauz hält nicht viel von Mädchen, im Gegenteil: Aufgrund ihrer Emotionen seien Frauen gefährlich und nicht in der Lage, gute Zauberer zu werden. Die Konsequenz dieses Vorgehens passt dem Zauberer auf Dauer jedoch auch nicht: Onye versucht, unbeholfen und unkontrolliert, ihre eigenen Kräfte kontrollieren zu lernen – und bringt sich selbst und ihre Freunde dadurch in Gefahr. Bald ist sie stark genug und macht sich unbeirrt auf den Weg, ihren leiblichen Vater aufzuspüren. Doch der Weg durch die Wüste birgt viele Gefahren, fremde Völker und Traditionen und so manch verborgene Macht, auf die man sich nicht einlassen sollte.
Fazit: Leider nichts für mich…
Wer fürchtet den Tod ist eine mystische und emotional geschilderte Reise durch die Wüste Afrikas, die tief gefangen nimmt. Zwar verfügt Onye über viele magische Fähigkeiten, dennoch hatte ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, einen Fantasy-Roman zu lesen. Daher glaube ich, dass sich der Roman viel mehr für Leser eignet, die gern ernstere, kulturelle und realitätsnahe Literatur schätzen, die durch Nnedi Okorafor durch eine magische Ebene erweitert wird, die sich aber liest wie ein orientalisches Märchen, eine Vision, ein Geheimnis-umwobener Mythos. Die SciFi- oder Fantasy-Einflüsse sind nur sehr schwach.
Dennoch bereue ich es nicht, Onyes Abenteuer bis zum Ende verfolgt zu haben. Für mich bleibt Wer fürchtet den Tod ein außergewöhnliches Buch und vielleicht traue ich mich irgendwann an „Binti“ oder „Lagune“, die neueren Werke der Autorin, heran. Wenn ich aber vorher gewusst hätte, was mich in „Wer fürchtet den Tod“ erwartet, hätte ich es wahrscheinlich nicht gelesen.
Gut, aber teils langatmig und mir zu emotional geschriebener Roman, der thematisch leider überhaupt nicht meinen Geschmack trifft.
[Zum Hörbuch:]
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Afrofuturismus mit dezentem Zauber
Lübbe Audio
14.12.2017
ungekürztes Hörbuch
15 Stunden 17 Minuten
Der Debüt-Roman von Nnedi Okorafor, der Autorin des Überraschungserfolgs "Lagune", verbindet Fantasy mit afrikanischer Kultur und schafft so ein Endzeit-Abenteuer der Spitzenklasse.
In einer nicht näher definierten post-apokalyptischen Zukunft werden die dunkelhäutigen Okeke von den hellhäutigen Nuru unterdrückt. Um sich an der Vergewaltigung ihrer Mutter zu rächen und ihr Volk zu befreien macht sich das Mädchen Onyesonwu (dt.: "Wer fürchtet den Tod") auf eine lange Reise voller Magie und Gefahren. Ihr Ziel: Den mächtigen Zauberer Daib zu töten - ihren Vater und Vergewaltiger ihrer Mutter.