[Rezension] Ann Leckie Die Maschinen ist ein literarischer Mount Everest mit Scifi-Panorama
Ann Leckie Die Maschinen (erster Band der gleichnamigen Trilogie) war ein klassischer Coverkauf. „DAS Science- Fiction-Ereignis“ heißt es dort, großspurig zieren diverse Awards das zugegeben eindrucksvolle Coverart.
Bereits beim Vorwort des Übersetzers wird klar: Dieses Buch ist außergewöhnlich. „Der erste literarische Text in Romanlänger, der konsequent im generischen Femininum geschrieben ist“ steht dort. – Aber kann das klappen? Oder wird dort der künstlerischer Anspruch zu Lasten des Leseflusses durchgesetzt?
Über die Gerechtigkeit der Torren
Vor 19 Jahren war Breq geflohen. Seitdem gibt sie vor, ein Mensch zu sein.
Damals war sie einer Offizierin der Radchaai unterstellt, als diese Shis´urna annektierten.
Nach der Annexion lebte sie in der besetzten Stadt Ors, sah durch die Augen vieler Hilfskörper und diente der Stadt unter Leutnantin Awn, für deren Sicherheit sie zuständig war. Man kannte sie, man vertraute ihr.
Doch es gab Unruhen in der Stadt: Die Tandmind, die reichen privilegierten Herrscherfamilien der Oberstadt, wandten sich gegen die scheinbar bevorzugten Orsaai der Unterstadt, unter denen die Radchaai nahe des Tempels wohnten. Damals, während der Annexion, hatten die Orsaai sich unterworfen und viel eher eingelenkt als die Tanmind. Und so schwören einige Tanmind, obwohl sie die Annexion ohne Hunger zu leiden überstanden, Rache gegen ihre Besetzer, allen voran Leutnantin Awn… Es braut sich etwas zusammen.
Auf Nilt findet Breq Seivarden Vendaii, ihre ehemalige Offizierin („ich wusste, dass Seivarden männlich war“), schwer verletzt im Schnee. Vom Täter keine Spur, entscheidet sie sich, die Verletzte zu retten. Zum Glück erkennt diese Breq nicht; erkennt nicht, WAS sie ist, als sie erwacht. Doch die Landschaft ist karg und eiskalt, ebenso wie die Bewohner der Dörfer. Die beiden scheinen leichte Opfer zu sein.
Breq ist auf dem Weg zu Dr. Arilesperas Strigan, die auf der Flucht ist – vor ihr und anderen. Sie besitzt eine Waffe, die Breq will; die Waffe, die sie braucht: Die einzige Waffe, die je ein Radchaii-Schiff zerstören konnte. Denn sie will Anaander Mianaai töten, die Herrin der Radch mit ihren tausend Körpern.
„Artefakte der Garseddai waren selten, denn als Anaander Mianaai klar geworden war, dass die Garseddai imstande waren, Radchaai-Schiffe zu zerstören und Radchaai-Rüstungen zu durchdringen, hatte sie die komplette Vernichtung von Garsedd (…) angeordnet.“ – Ersteindruck: ein Buch mit vielen A.
Breq springt zwischen ihrer Gegenwart auf Nilt und ihren Erinnerungen an die Annexion auf Shis´urna; pro Kapitel wird also abwechselnd stets ein Strang in Egoperspektive weitergeführt.
Tatsächlich spoiler ich mit dieser Inhaltsangabe schon mehr als hundert Seiten: Solang braucht es nämlich, bis man erfährt, was Breq überhaupt will: Was ist sie? Was ist ihr Ziel? Und wieso ist das alles so kompliziert?
Der Tiefgang eines Schiffes bestimmt dessen Charakter
„Was war es noch gleich, was Sie Radchaai immer sagen? (…) Gerechtigkeit, Anstand und Nützlichkeit, nicht wahr? Jede Tat soll gerecht, anständig und nutzlich sein.“
Ann Leckie Die Maschinen ist ein Science-Fiction-Roman mit moralischem Tiefgang, der zudem einige genreübliche Themen fein ausführt und weiterentwickelt: So ist Breq eine sogenannte Leichensoldatin, einst ein kleiner Teil einer Schiffs-KI: Einer von vielen toten Körper, die es kontrollierte; nun ist sie von der Gesamtheit abgeschnitten. Dabei passt sie aber in keine Roboter-Schublade, nein: Sie fühlt, zeigt Mitleid, Emotionen, wenn auch antrainiert, und Feingefühl.
Die KI scheint fast menschlich, im krassen Gegensatz zu den tatsächlich menschlichen Einwohnern auf Nilt, ihrem gegenwärtigen Abenteuer, und in der Oberstadt von Ors. Natürlich erzeugt die stilisierte Distanziertheit der Nebencharaktere das Gefühl etwas Fremdem beizuwohnen, dennoch erhält man ein Buch mit großteils emotionslos oder äußerst beherrscht agierenden Personen; entsprechend erzwungen wirken die Dialoge mit Fremden.
Das von Ann Leckie erschaffene Universum ist in vielen Details gut durchdacht: Die Familienhierarchien mit all ihren Häusern inklusive der Klientenschaften bspw. hat mir gut gefallen, ebenso das seltsam anmutende Gottvertrauen in Amaat und die Ergebenheit gegenüber einem Schicksal, das man nicht beeinflussen kann. Die Schilderung der Radchaai mit all ihren Gepflogenheiten, wie ihren behandschuhten Händen und dem ritualisierten Teekonsum, ihren Sitten, Bräuchen und Glauben ist brilliant: Ich versank in den Tiefen einer völlig fremden Zivilisation wie selten zuvor. Neben der Kultur geht es aber immer wieder um Krieg, Intrigen und Loyalität angesichts (moralisch) kritischer Entscheidungen, sowohl damals als heute. Einen besseren Kontrast zwischen Tradition und Science Fiction-Schlachten hätte man sich kaum denken können.
Die Stimmung ist ernsthaft mit düsterer Aussicht und dunkler Erinnerung, gespickt mit aufblitzenden Fragestellungen und schön formulierten Highlights. Ein Highlight war die Wahrnehmung der Stadt durch die Augen zahlreicher Hilfseinheiten zugleich:
„Das alles konnte ich sehen, während ich an verschiedenen Stellen in der Nähe des Tempels stand und durch die Straßen der Stadt ging. (…) Das galt zumindest für die Hälfte meiner zwanzig Körper. Die übrigen schliefen oder arbeiteten in dem von L.A. bewohntem (…) Haus (…).“
„Meine Körper schwitzten unter den Uniformjacken, und ich öffnete gelangweilt drei meiner Münder, alle nahe beieinander auf dem Platz des Tempels, und sang mit diesen drei Stimmen (…)“
„Ich patrouillierte auch dort. Wenn ich am Ufer des Wassers entlangging, konnte ich mich selbst auf dem Platz stehen sehen.“
Brilliante Story mit mieser Umsetzung
Dennoch (und das ist mein Haupteindruck) ist das Buch über weite Teile kaum lesbar. Durch das generische Femininum (Sprachheckmeck) bekam ich in meinem Kopfkino auf den ersten 200 Seiten kaum ein klares Bild zustande:
„Innerhalb des Radch-Territoriums wäre es egal gewesen. Die Radchaii scherten sich wenig um das Geschlecht, und in ihrer Sprache – meiner Muttersprache – wird das Geschlecht in keiner Weise markiert. In der Sprache, in der wir jetzt redeten, hingegen schon, und ich konnte mich in Schwierigkeiten bringen, wenn ich die falschen Formen benutzte. Es war auch nicht hilfreich, dass die Hinweise zur Unterscheidung der Geschlechter von Ort zu Ort manchmal radikal verschieden und mir meistens unverständlich waren.“
Das ist also das Prinzip und verstanden habe ichs auch; so schwer ist das auch nicht. Dennoch führt diese kleine Tatsache zu weitreichenden Konsequenzen. In die ernsthafte, durch kriegerische Handlungen bestimmte Atmosphäre, schleichen sich Sätze wie:
„Finden Sie“, fragte die Priesterin, eine grauhaarige Alte mit kurz gestutztem grauen Bart, „es nicht sehr hart, in Ors zu dienen?“
(Hier dürft ihr euch keine Priesterin mit grauem Bart vorstellen; es handelt sich scheinbar um einen alten (männlichen) Priester. Nun ist die Frage, ob die Orsaai generell androgyn aussehen, oder ob Breq es nur nicht zu unterscheiden vermag. In meinem Kopf bildet sich schlichtweg kein passendes Bild dieser Personen.)
Nun kann man mir vorwerfen, den künstlerischen Anspruch nicht zu verstehen, auch die Problematik nicht, die eine Übersetzung ins Deutsche nach sich zieht; schließlich muss man sich ja irgendwo entscheiden zwischen „Er und Sie“. Nur hätte man sich vielleicht fragen müssen, ob eine Übertragung ins Deutsche Sinn macht, wenn als Folge anfangs jeder dritte Satz schief und falsch klingt, und jeden Lesefluss im Keim erstickt. Alternativ hätte man vielleicht (auch wenn es kleine Logikfehler in der Sprachwahl nach sich ziehen würde) zumindest bei den Hauptpersonen, deren Geschlecht nun definitiv erkannt wurde, wie Seivarden, switchen können. Gerade bei ihm störte es mich nämlich besonders! Leider konnte ich mich an dieses Muster nicht ganz gewöhnen, auch wenn es nach etwa der Hälfte des Buches deutlich besser wurde.
„Nach dem eckigen Labyrinth-Muster zu urteilen, in dem ihr Hemd abgesteppt war, war sie vermutlich männlich.“
Ein schwieriges Fazit
Trotz des allgegenwärtigen Fragezeichens, bin ich froh, dass ich dieses Buch erleben durfte – und mich durchgebissen und es beendet habe; denn wer´s nicht zuende liest, darf nicht meckern. Meckern möchte ich auch nicht, nur anmerken, dass dieses sprachliche Experiment für mich nicht funktioniert hat. Und dass ich es furchtbar schade finde, weil die Story mitsamt ihrer Charaktere und wundervollen Details etwas ganz besonderes ist. Für andere Blogger (wie ich recherierte) war der konfuse Schreibstil kein Problem. Empfehlen möchte ich dieses Buch dennoch niemandem.
Am Ende stellt sich die Frage: Ist das Buch es wert, zweihundert Seiten lang jede Formulierung zu entwirren? Es dauerte sehr lang, für mich als Vielleser eine Woche, in der ich sonst zwei solcher Romane lese. Es war anstrengend und mir schwirrte ziemlich der Kopf. Es war einfach viel zu kompliziert.
Aber wer den literarischen Mount Everest bezwingen will, um die wundervolle Aussicht hinter den ersten 200 Seiten zu genießen, dem wünsche ich viel Geduld! Vielleicht probiert ihrs auf Englisch? Mich würd interessieren, ob das besser klappt!
„Denn obwohl „ich“ immer noch ich war, eins und einheitlich, handelte ich gegen mich selbst, im Widerspruch zu meinen Interessen und Wünschen, manchmal insgeheim, und täuschte mich selbst in Bezug auf das, was ich wusste und tat. Und es ist für mich sogar jetzt noch schwierig zu erkennen, wer welche Handlung ausführte oder wer welche Informationen hatte. Weil ich die Gerechtigkeit der Torren war. Selbst wenn ich es nicht war. Selbst wenn ich es jetzt nicht mehr bin.“
[Übersicht] Ann Leckie – Die Maschinen Trilogie
1. Die Maschinen (Ancillary Justice)
2. Die Mission (Ancillary Sword)
3. Unbekannter Titel (Ancillary Mercy)
+ Kurzgeschichte: Das Gift der Nacht [kostenlos bei Amazon, Stand 22.2.16]
(Ich habe die Kurzgeschichte gelesen und sie spiegelt Ann Leckies Erzählstil und den Charme ihrer Welt in keinster Weise wider. Eher ist es eine Gegenperspektive zum ersten Roman, den ihr vorher gelesen haben solltet.)
Die Maschinen Trilogie 1
PhiloSciFi mit KI
Heyne
09.02.2015
eBook
545
Was wird aus den Menschen, wenn die Maschinen frei sein wollen?
Breq ist eine Kämpferin, die auf einem einsamen Planeten auf Rache sinnt. Hinter ihrer verletzlichen, menschlichen Fassade verbirgt sich mehr, als es zunächst den Anschein hat: Sie wurde von den Radch geschaffen, die nach und nach das gesamte Universum unterworfen haben. Breq ist nur dem Äußeren nach eine Frau, vor allem aber ist sie ist eine perfekt konstruierte Maschine, abgerichtet zum Erobern und Töten. Nun aber beschließt sie das Unmögliche: Ganz allein will sie es mit Anaander Mianaai aufnehmen, dem unbesiegbaren Herrscher der Radch. Denn Breq will endlich frei sein.
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