Ich und die Menschen von Matt Haig Hörbuch

IMG_1206[Rezension] Matt Haig – Ich und die Menschen – Ein Hörbuch vom Sinn des Lebens und Erdnussbutter mit ganzen Nüssen

Ich und die Menschen ist ein philosophischer Augenöffner über die Menschen aus der Sicht eines Außenstehenden. Ähnlich dem kleinen Prinzen analysiert er die Eigenheit und Unsinnigkeit unseres allzu menschlichen Verhaltens, unserer Prioritäten. Unlängst hat Matt Haig mit „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ eine gigantische Twitterwelle losgetreten. Für mich ein guter Grund, mich an dieses Hörbuch zu wagen, was viel eher meinem Genre entspricht. Oder nicht?

Bäumchen-wechsle-dich: Genie gegen Genie

„Es war Nacht. Ich war an Nacht nicht gewöhnt. Und selbst wenn, diese Nacht war keine normale Nacht. Es war eine Nacht, wie ich die noch nie erlebt hatte. Es war Nacht hoch Nacht hoch Nacht. Die dritte Potenz von Nacht. Ein Himmel von kompromissloser Finsternis, ohne Mond und Sterne. Wo waren die Sonnen?“ Kap. 2

Nachdem Professor Andrew Martin, Koryphäe* auf dem Gebiet der Mathematik, der große Durchbruch bei der Lösung eines mathematischen Problems gelang, hatten wir keine Wahl: Wir mussten ihn und jede Spur dieses Durchbruchs beseitigen. „Um zu schützen, muss man manchmal zerstören.“(Kap.1), lautet die Devise meiner Auftraggeber; dem wissenschaftlichen Fortschritt der Menschheit muss man Einhalt gebieten! Darum sandten sie mich auf die Erde.
Dort nahm ich seinen Platz ein, inmitten seiner Familie: seiner liebenden Frau Isobel, einer anerkannten Historikerin, samt 15-jährigem Sohn Gulliver mit Aggressionszuständen, in meiner neuen Heimatstadt Cambrigde. Und merkte bald: In der Theorie sieht vieles anders aus als im wahren Leben. Aber was ist das eigentlich: Das wahre Leben?

(* Sieht seltsam aus, gehört aber so!)

Ermittlungen zur Spurenbeseitigung: Zettel, Dateien und Gehirne

„Ich war ein 43-jähriger Neugeborener auf dem Planeten Erde.“ Kap. 1

Normal zu sein ist gar nicht einfach, wenn man nicht weiß, was das ist.
Die Augen, durch die wir sehen, sind Andrew Martins, doch von ihm ist nicht mehr als eine Hülle geblieben: Dem Außerirdischen, der jetzt in ihm steckt, wird von Menschen schlecht. Seine Einstellung gegenüber der Menschheit vergleicht er mit jener, die diese zu Einzellern haben. Womit er nicht gerechnet hatte: Statt seines Gedächtnisses, trifft er in sich auf Andrews Gefühle.

Nun ist er gezwungen, sich mit seinem neuen Leben auseinanderzusetzen. Seit Andrew Martin die Riemannsche Vermutung bewies, wähnt sich der Rest des Universums in Gefahr; lag sie doch aller Entwicklung fremder Spezies zu Grunde: von der intergalaktischen Raumfahrt bis zur Unsterblichkeit. Seine Aufgabe ist also nun, herauszufinden, wer etwas davon weiß. Wem hat Andrew Martin seine Forschungsergebnisse mitgeteilt? In der Konsequenz: Welche Spuren (auch menschlicher Art) müssen zum Schutz außerirdischen Lebens vernichtet werden?

Was ist das: Ein Mensch?

©Hörverlag
©Hörverlag

So richtet sich der Roman nicht nur an Menschen, sondern auch fremdartige Bewohner anderer Planeten, was den Erzähler nötigt, den Menschen im Großen und Ganzen erst einmal vorzustellen: Was ist ein Mensch und was macht ihn aus? Wie funktioniert das Leben auf der Erde? Was bewegt ihn? So entstehen im Laufe der Story irrwitzige Dialoge und Situationen, die so komisch wie auch wahr sind.

„Die Erde war, wie mir später klar wurde, ein Planet der verpackten Dinge. Nahrung in Folie. Körper in Kleidung. Verachtung in Lächeln. Alles war verpackt.“ Kap. 3

Ich und die Menschen ist insofern ein Buch voller wertvoller, weil gnadenlos wahrer Zitate. Tatsächlich ist fast jeder Satz eine Erkenntnis: komisch, traurig oder wahr. – „So gesehen hat er Recht“, dachte ich. So entstand im Buch für mich der mir sonst nur aus Büchern von Gaarder bekannte Effekt: Die Menschheit steckt voller Wunder, in all ihrer Komplexität und allen Macken der Evolution. Lesen – aufschauen – über die Welt staunen.

„Die Menschen fürchten die Natur. Und sie fühlen sich viel sicherer, wenn sie sich selbst beweisen können, dass sie die Natur beherrschen. Deswegen gibt es Englischen Rasen.“ 48, Ich war ein Nicht Jemand

IMG_1209Besonders gut gefiel mir auch Christoph Maria Herbst, bekannt aus Stromberg, der in der Rolle des Sprechers meiner Meinung nach seine wahre Bestimmung gefunden hat. (Ich weiß, wie ich mir Freunde mach. :) ) Er hat tatsächlich ein Gespür für skurrile Situationen und kann bei Ich und die Menschen tatsächlich die ganze Bandbreite seines Könnens zeigen: Befremdlich statt lustig. Hinterfragend statt überzogen. Durch die Geschichte führend statt eine Geschichte vorsetzend. Dennoch: Ich habe herzhaft gelacht.

 

Die kleinen Freuden des allzu menschlichen Lebens

„Wenn man einen Hundekopf auf dem Schoß hat, erkennt man nach einer Weile die unbedingte Notwenigkeit, ihn zu streicheln. Fragt nicht, woher das kommt. Offensichtlich hat das etwas mit den Dimensionen des menschlichen Oberkörpers zu tun. Jedenfalls streichelte ich den Hund, und dabei fiel mir auf, dass es ein angenehmes Gefühl war: die Wärme und der Rhythmus.“ Kap. Erdnussbutter :)

In das Leben des gestrandeten Außerirdischen mischt sich der Genuss an gutem Essen und Musik und die schlichte Freude an der Gesellschaft eines Hundes. Er lernt das Lachen, Empathie, Menschen als Individuen zu sehen, Gestik zu deuten (mehr oder weniger), was Fußball ist; kurz: Das Menschsein. Er sieht die Welt bald anders: Mit all ihrer Schönheit trotz und aufgrund ihrer Vergänglichkeit. Fast findet er sein Glück…

„Das Leben der Menschen, begriff ich, verschlechterte sich zusehends, je älter man wurde. Man kam auf die Welt mit Babyhänden und Babyfüßchen und kannte nichts als unendliches Glück, und dann ließ das Glück allmählich nach, im gleichen Maß, indem Hände und Füße wuchsen.“ Kap. Die Mutter

Fazit: Das Rad nicht neu erfunden, aber weitergedacht

Ich und die Menschen beleuchtet alle Ecken des Menschseins aus einer völlig neuen Perspektive: Matt Haig analysiert alles alltägliche und unsinnige Verhalten, unsere Eigenarten und hinterfragt: Was ist der Sinn des Lebens? Ist der Mensch von Natur aus gut oder böse?
Mit einer Menge Wortwitz, Situationskomik und einer unglaublich guten Sprecherwahl mit Christoph Maria Herbst weiß Ich und die Menschen sowohl zu faszinieren, als auch zu irritieren: Wieso handeln wir, wie wir handeln?
Weitgehend spannungsarm, dafür umso entscheidungsschwerer läd das Drama zum Grübeln und Träumen ein. Gegen Ende zunehmend Emotional, frei nach dem Motto „All you need is Love“, war mir das doch etwas zuviel, aber darüber lässt sich streiten: Denn Ich und die Menschen ist ein liebenswürdiger Roman mit viel Herz. Trotz Alien in Hauptrolle keine Empfehlung für Science-Fiction-Fans generell; alle Träumer, Grübler und Alltagsphilosophen werden ihren Spaß an dem Hörbuch haben.

Stern4

„Deswegen haben sich Wölfe zu Hunden entwickelt. Und deswegen besteht die Architektur der Menschen hauptsächlich aus unnatürlichen Formen. In Wirklichkeit ist die Natur, die reine Natur, nur ein Symbol für sie: Ein Symbol für die menschliche Natur. (…) Es dauert so lang die Menschen zu verstehen, weil sie sich selbst nicht verstehen.“ 48 Ich war ein Nicht Jemand


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„Für kleine Lebewesen wie uns, ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.“ – Carl Sagan … kleiner als drei <3


Vielen Dank an Der Hörverlag für dieses Rezensionsexemplar.

Ich und die Menschen Book Cover Ich und die Menschen
Matt Haig
Philosophischer Roman
Der Hörverlag
31.08.2015
Ungekürztes Hörbuch
8,5 Stunden

Herbst liest Haig – jetzt zum Sonderpreis

In einer regnerischen Nacht wird Andrew Martin, Professor für Mathematik in Cambridge, aufgegriffen, als er nackt eine Autobahn entlangwandert. Professor Martin ist nicht mehr er selbst. Ein Wesen mit überlegener Intelligenz und von einem weit entfernten Stern hat von ihm Besitz ergriffen. Und es ist nicht begeistert von seiner neuen Existenz. Es hat eine denkbar negative Meinung von den Menschen, jeder weiß schließlich, dass sie zu Egoismus, übermäßigem Ehrgeiz und Gewalttätigkeit neigen. Doch andererseits: Kann eine Lebensform, die Dinge wie Weißwein und Erdnussbutter erfunden hat, wirklich grundschlecht und böse sein? Und was sind das für seltsame Gefühle, die es überkommen, wenn es Debussy hört oder seiner vermeintlichen Frau Isobel in die Augen blickt?

Christoph Maria Herbst ist der perfekte Interpret für den außerirdischen Ich-Erzähler, der nach und nach Gefallen an seinem irdischen Leben findet: amüsant, berührend und sehr menschlich.

Sonderausgabe zum Taschenbuch.

(1 mp3-CD, Laufzeit: 8h 29)