[Rezension] Harald Lesch: Wenn nicht jetzt, wann dann? Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen
Wenn nicht jetzt, wann dann? heißt das neue Buch von Harald Lesch, dem Physiker und Philosoph unseres Vertrauens. Als Moderator kennt man Harald Lesch hauptsächlich durch seine Sendungen „Leschs Kosmos“ und „Frag den Lesch“ im ZDF. Dort stellt er sich wissenschaftlichen Fragen, die er einem breiten Publikum verständlich erklärt. Im Internet bietet das ZDF mit „Terra X – Lesch und Co“ ein weiteres Format für jüngeres Publikum. Wen in der Freizeit die Neugier auf Wissenschaft packt, der kommt an Harald Lesch kaum vorbei. Nur für welche seiner Zielgruppen ist „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ lesenswert? Und wie fange ich es am Besten an, die entscheidenden Schritte in die richtige Richtung zu gehen: für eine Welt, in der wir leben wollen?
Menschgemachte Probleme: Klimawandel & Machtmissbrauch
„Was können wir, was kann der Einzelne tun gegen Hunger, Krieg, Umweltzerstörung, Armut, Ungerechtigkeit, Machtmissbraucht – für eine zukunftsfähige, vermögende, gedeihliche Gesellschaft, für eine Welt, in der wir leben wollen?“ S. 9
Unsere Welt geht vor die Hunde. Das ist längst kein Geheimnis mehr. Auf den Weltmeeren schwimmt ein Plastikteppich in der Größe Europas, die einheimischen Insekten sterben, unser Klima erwärmt sich stetig. Die Temperatur steigt und erhitzt damit auch die Gemüter auf beiden Seiten. Die Menschheit schafft sich ab, behauptete Lesch bereits im Titel seines letzten Buchs. Fakt ist: Die Welt zu retten erfordert großen Verzicht aller Menschen, und der Großteil ist schlichtweg nicht bereit, sich vom allzu bequemen Leben im Überfluss zu verabschieden.
Aber wo ist sie hin, die Haltung, stets das Beste für zukünftige Generationen zu wollen? Der Generationenvertrag besagt: „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben“. Tatsächlich sind wir die erste Generation, denen das egal ist. Und während unsere Jugend in der #fridaysforfuture-Aktion auf die Straße regelmäßig ihre Schulbildung für ein höheres Ziel riskiert, schaffen wir durch unser rücksichtsloses Verhalten eine Welt, in der weder wir noch unsere Kinder leben wollen oder gar können. Aber wieso? Vielleicht, weil wir nicht mehr an die Zukunft unseres Planeten glauben?
Dabei würden bereits wenige Änderungen die Zukunftschancen unseres Planeten erheblich verbessern. Natürlich stehen die mächtigsten Werkzeuge nur der Politik zur Verfügung. Was aber können wir – vor Ort, effektiv, ab sofort – für unsere und die Zukunft der nächsten Generation tun?
Der Weg zu einer gedeihlichen Gesellschaft
„Wer lokal tätig ist, der kann global wirken!“
Harald Lesch nutzt zur Beschreibung der idealen Zukunft den Begriff „gedeihlich“, ein organischerer Begriff als „nachhaltig wachsen“, wenn auch ähnlich: Kinder gedeihen, Pflanzen auch. Gedeihen bedeutet „etwas entwickelt sich seinem Wesen gemäß richtig“. (S.131) Und ist es nicht genau das, was wir für die Erde und zukünftige Generationen wollen? Doch was steht dem entgegen?
Wir leben in einer an Profit, Status und Macht orientierten Gesellschaft. Der Sieg der Geschäftstätigkeit hat in den meisten Gebieten unseres Alltags längst stattgefunden. „Möglichst mit allem muss Geld verdient werden, auch mit der Pflege der Alten und Kranken, der Betreuung unserer Kinder, mit Gemeineigentum. Fast immer zählen nur noch wirtschaftliche Argumente“, kritisiert Harald Lesch (S. 8). Und auch die Angst vor Veränderung scheint allgegenwärtig. Der Mensch lehnt Veränderungen ab, was verständlich ist, solang es gut läuft. Doch das tut es längst nicht mehr. Wieso also halten wir Menschen an offensichtlich verheerendem Verhalten fest und steuern uns so bewusst ins Verderben?
Verzichten ist nicht leicht. Soziale Gerechtigkeit & Fairness bedürften des Verzichts der nicht benachteiligten Gesellschaftsgruppen. Wie schwer der Verzicht auf Plastik oder des Deutschen liebsten Autos, des Diesels, ist, merken wir alltäglich. Alternativen ohne Verzicht zu finden, ist auf vielen Gebieten unmöglich. Ein einfacher Weg wäre laut Lesch eine Steuer für knappe Rohstoffe oder eine Kohlendioxidsteuer. Da diese aber auf höchster Ebene beschlossen werden muss, führt für uns kein Weg daran vorbei, vorerst auf lokaler Ebene tätig zu werden. Nachbarschaftsinitiativen sind ein erster Schritt zur Revolution. Doch wie bewirken wir den längst überfälligen Gesellschaftswandel?
Vorbilder: Alternative Stadtkonzepte durch Gesellschaftswandel
„Lassen Sie sich nicht irritieren. Das ökologisch Richtige ist das Richtige!“- S. 362
Urban Gardening, Smart Cities, Bio-Kerosin aus Algen, Strom aus der Wüste – sieht so die Zukunft aus? Vielleicht. Doch der Schritt in eine bessere Zukunft geschieht nicht nur in den Metropolen dieser Welt. Jeder kann bei sich vor Ort aktiv werden.
In „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ gibt Lesch einen Ausblick in die Gärten unserer Nachbarn. So schaut er nach Norderstedt, einer norddeutschen Gemeinde, die als umweltfreundliche Kommune zahlreiche Auszeichnungen für ihr Konzept gewann. Möglich wurde das durch den Mut und die Initiative ihrer Bürger.
Auf der Suche nach einem intelligenten zukunftsfähigen Mobilitätskonzept blickt Lesch nach Kopenhagen. Um die Stadt fahrradfreundlicher zu gestalten, wurde dort die grüne Welle auf Radtempo angepasst. Gut ausgebauter und günstiger ÖPNV können eine Alternative darstellen. Doch solche Entscheidungen tragen vor allem die Bürger. Frei nach dem Prinzip: Wer seine Stadt liebt, ist viel eher bereit zu verzichten, wird Veränderung in zahlreichen Gemeinden bereits gelebt. Wieso nicht auch bei uns?
Kleine Schritte zur Veränderung: Was können wir tun?
„Für uns ist Natur zu einer bloßen Kulisse verkommen, vor der sich unser ökonomisches Handeln abspielt. Die Natur hat einfach nur zu funktionieren und zu liefern. (…) Wenn die Luft verschmutzt ist, das Wasser und der Boden vergiftet sind, dann können wir hier nicht mehr leben. Egal, wie viel Geld wir haben, das spielt dann auch keine Rolle mehr.“ S. 359
Was aber kann ich – ganz persönlich, lokal, jetzt sofort – für eine gedeihliche Zukunft tun? Und auch hier finden sich einige gute Ratschläge für jedermann. Fair gehandelte Waren zu kaufen, das sollte bereits in den Alltag der interessierten Bürgers vorgedrungen sein. Lokal und saisonales Obst und Gemüse zu kaufen, hilft der Umwelt. Und auf Plastik zu verzichten, ist schwer, aber man findet Wege, wenn man sich bemüht.
Wem aber sagt die Klimaschutzorganisation „Atmosfair“ etwas? Diese ermöglicht es, einen freiwilligen Beitrag für jeden Flug entrichten, der zur Schaffung erneuerbarer Energien und somit zur Kompensation der durch den gebuchten Flug verursachten Emissionen dient. Online-Petitionen ermöglichen es, jetzt und sofort ein Zeichen gegen den Klimawandel zu setzen.
Fazit: Verantwortung übernehmen – für eine Welt, in der wir leben wollen…
„Wir glauben nicht mehr an etwas, das größer ist als die Menschheit. (…) Alles Ökonomische, Technische und Wissenschaftliche hat uns dahin gebracht, dass wir der Meinung sind, wir wären Gott. Und deswegen glauben wir auch, dass wir die Natur beherrschen können.“ – S. 360
Denn die Zeit drängt. Nur noch wenige Jahre bleiben uns, um unseren Heimatplaneten zu retten. Es wird Zeit, dass wir Verantwortung übernehmen & ökologisch handeln um grundlegende und notwendige Veränderungen zu schaffen.
In „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ animiert Harald Lesch mittels klare Worte dazu, endlich aktiv zu werden. Überrascht hat mich, dass der Fokus des Buches trotz deutlicher Kritik an Politik und Wirtschaft dennoch auf dem Zeigen alternativer Handlungsweisen und Lösungskonzepte für Bürger und Städte liegt. Natürlich wissen wir, wo es hakt. Aber wie genau wir das Problem angehen können, dazu fällt uns häufig nicht viel ein.
Inhaltlich orientiert sich Harald Lesch an Kants Fragestellungen der Philosophie: „Was kann ich wissen? (Wissenschaft & Logik) – Was soll ich tun? (Ethik) – Was darf ich hoffen? (Metaphysik) – Was ist der Mensch? (Kultur & Soziales)“ So benennt er Fakten (meist in farbigen Grafiken leicht verständlich aufgedröselt) und mögliche Lösungswege, versucht aber auch anthropologisch die Gründe unseres Handels und unserer Angst vor Veränderung zu erläutern. Das macht Wenn nicht jetzt, wann dann? zu einem vielseitigen und ausgewogenen Buch über ökologisch gute und schlechte Handlungsweisen, die wissenschaftlich und philosophisch bewertet werden. Er berichtet von Fehlentscheidungen und Vorzeige-Projekten, interviewt zahlreiche Vertreter namhafter Organisationen und vertritt so einen klaren Standpunkt: Den für ihn richtigen Weg, die Zukunft zu bestreiten. Dabei bleibt er stets authentisch: Denn Harald Lesch ist jemand, der seine Überzeugung lebt und sich selbst engagiert, sei es in seiner Heimatgemeinde oder als Mitglied des Bayrischen Klimarats.
„Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ – Ödön von Horváth
Manchmal entsprach ich nicht der angesprochenen Zielgruppe. Gedanken über eine ökologisch wertvolle Geldanlage brauche ich mir als Studentin kaum machen; auch die Wahl zwischen SUV und Limousine blieb mir bisher erspart. Dennoch würde ich sagen, dass Handlungsvorschläge für jede Lebenssituation dabei sind. Für mich hat die Lektüre des Buches den Ausschlag gegeben, mich endgültig von allen (!) Plastikflaschen in meinem Haushalt zu verabschieden.
Mit Sicherheit bedarf es nicht eines Buches, um endlich aktiv zu werden. Aber Wenn nicht jetzt, wann dann? motiviert, endlich anzufangen, etwas zu verändern. Insofern richtet sich das Sachbuch nicht nur an die Sparer, Plastikflaschen-Nutzer und SUV-Fahrer unserer Zeit. Denn wir alle können in unserem Alltag durch Verzicht und Engagement den längst überfälligen Gesellschaftswandel hervorrufen oder zumindest beschleunigen.
[Vielen Dank an den Penguin-Verlag für dieses Rezi-Exemplar.]
Das Buch wirbt damit, mittels eines besonders umweltfreundlichen Verfahrens gedruckt zu sein.
Hier noch einige Links im Buch erwähnten Projekten: [Das Generationenmanifest]; [Atmosfair].
Wenn Euch diese Rezi gefallen hat, dann schaut doch gern hier vorbei:
Sachbuch
Penguin Verlag
17.09.2018
Hardcover
368 Seiten
Geben wir unser Bestes für eine bessere Welt!
An jeder Ecke scheint es zu brennen: Die Menschen haben einen dramatischen Klimawandel in Gang gesetzt. Rücksichtslos werden Mensch und Natur ausgebeutet. Das Leben ist bis zum Zerreißen durchökonomisiert, die Gesellschaft gespalten. Überall stecken wir in lähmenden Widersprüchen. Ratlosigkeit macht sich breit. Was können wir, was kann jeder Einzelne tun? Wir haben keine Zeit zu verzagen, sagen Harald Lesch und Klaus Kamphausen. An zahlreichen Beispielen zeigen sie, wie wir mit Widersprüchen umgehen können, und erörtern mit namhaften Experten wie Ottmar Edenhofer, Karen Pittel und Ernst Ulrich von Weizsäcker Lösungsansätze, Handlungsmöglichkeiten und Ideen für ein gedeihliches Zusammenleben. Ein Weckruf und ein Mutmachbuch!