[Rezension] Niemalsland von Neil Gaiman – ein skurril-böses Urban-Märchen. Ein dreckiges, im positivsten Sinne.

 

Neil Gaiman: Niemalsland
Neil Gaiman: Niemalsland

[Rezension] „Niemalsland“ von Neil Gaiman – ein skurril-böses Urban-Märchen. Ein dreckiges, im positivsten Sinne.

Es macht kaum Sinn, über den Inhalt dieses Buches zu berichten. Zu verwirrend ist alles, zu verworren. Wer vor diesem irren Abenteuer nicht zurückschreckt, erlebt einen Trip wie auf einem Trip. Ein grausam-böses Märchen in der Unterwelt Londons, zwischen Himmel und Hölle, mit kleinen Highlights und riesigen Längen.

Es war einmal…

„Liebes Tagebuch, begann Richard. Am Freitag hatte ich einen Job, eine Verlobte, ein Zuhause und ein Leben, das Sinn machte. (Naja, soviel Sinn, wie ein Leben eben macht.) Dann fand ich ein verletztes Mädchen, das blutend auf der Straße lag, und wollte ein guter Samariter sein. Jetzt habe ich keine Verlobte, kein Zuhause, keinen Job mehr, und ich laufe gut hundert Meter unter den Straßen Londons herum, mit der voraussichtlichen Lebenserwartung einer selbstmordgefährdeten Eintagsfliege.“ (Kap.6)

Ein skurriles Figurenkabinett

„Vielleicht sind wir sogar amüsant. (…) Aber kommen sie nur nicht auf die Idee“, fuhr Mr. Croup fort,“dass etwas, nur weil es amüsant ist, Messire Marquis, nicht auch gefährlich sein kann.“ Erinnert nur mich das an den Moriarty-Sherlock-Showdown auf dem Dach?
Door und Richard. Der Marquis de Carabas und Hunter. Mr. Croup und Mr. Vandemar. Menschen, wie es sie nicht gibt. Kluge Dialoge, phantasievolle Sätze, dann seitenlang Belangloses. So stolperte ich von Satz zu Satz. Nichts für schwache Nerven- leider auch nichts für mich.

Einmal Doctor Who, immer Doctor Who 

Die Motive sind bekannt, auch wenn sie vielleicht hier ihren Ursprung haben: Londons Flüsse, die U-Bahn mit all ihren stillgelegten Haltestellen und Nebentunneln, inkl. der Kanalisation. Der sonderbare Wandermarkt. Das Obdachlosennetzwerk. Das alles gibts in Sherlock (Gatiss/Moffatt) und in der „Flüsse von London“-Reihe von Aaronovitch auch. Gatiss, Moffatt, Aaronovitch, Gaiman – alles ehemalige Doctor Who-Autoren.
Wer hat sich denn nun bei wem inspirieren lassen? Niemalsland erschien 1996, Aaronovitch startete die Peter-Grant-Serie erst 2011. Niemalsland wirkt auf mich wie ein wildes Brainstorming zu Aaronovitchs Serie. Aus Märchen mach Krimi: Aaronovitch hat dem starke Motive, natürliche Charaktere und eine treibende Story gegeben – fertig war der Bestseller. Der Ideenpool war Gaiman. Ohne Zweifel.

Ein Potpourri zum (ge)nießen

Wem also kann ich dieses Buch empfehlen?
Das Buch liest sich nicht flüssig. Die Charaktere reagieren nie natürlich. Sie sind verschrobene Kunstfiguren mit Motiven, die mich nicht gefesselt haben. Die Story offenbart sich stückchenweise: Ein Zwischenziel nach dem Nächsten wird enthüllt, der rote Faden fehlt aber. Spannung Fehlanzeige. Es ist ein Abenteuer, ein Roadtrip ins Ungewisse, was auf 368 Seiten schwer war, durchzuhalten. Es wirkt langatmig, wie Romane früher oft waren.
Viel konnte man eigentlich nicht falsch machen: Ein verrücktes tiefes Urban-Fantasy-Märchen hatte ich erwartet – das wäre genau mein Fall! Leider waren meine Erwartungen zu hoch und so wurds für mich eine große Enttäuschung.
Aber wenn du auf Märchenromane stehst, oder es dir gar nicht skurril genug sein kann, dann schau mal rein. Wenn du selbst schreibst und immer neue alternative Bösewichte suchst, dann solltest du dir dringend Mr. Croup und Mr. Vandemar anschauen. Sie sind mein persönliches Highlight!
Einen Stern gibts für Mr. Croup und Mr. Vandemar. Einen für Neil Gaimans Ideenreichtum weit vor allen andern. Zwei Sterne machts insgesamt für den Pioniergeist auf ungewöhnlichem und bis dato unerschlossenem Urban Märchen-Terrain. Ja, die Story ist nicht berauschend, aber er schreibt so gut. Manchmal. Und manchmal halt nicht.

P.S. Niemalsland streich ich raus. Zweite Chance für Gaiman: American Gods pack ich aufs Next.

Niemalsland Book Cover Niemalsland
Neil Gaiman
Urban Fantasy
Heyne
01.08.1998
ebook, Taschenbuch, Gebunden...

Der gutmütige Richard kommt einem Mädchen zu Hilfe und verliert dadurch seine Identität - niemand kennt ihn mehr. Als naiver Held wider Willen steigt er hinab nach Unter-London, eine Parallelwelt in U-Bahnhöfen und Kellern, und muss dort die haarsträubendsten Abenteuer bestehen.

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