[Rezension] Walter Moers: Weihnachten auf der Lindwurmfeste – Hamoulimepp
Mit Weihnachten auf der Lindwurmfeste bringt Walter Moers vorweihnachtlichen Schmökerstoff auf die Spiegel-Bestsellerliste. Weihnachten naht, eine ruhige und besinnliche Zeit, in der man gern wieder zum Buch greift und sich eine Auszeit gönnt. Was bietet sich da mehr an, als das von Lydia Rode liebevoll gestaltete und illustrierte Werk des Bestsellerautoren? Diesmal kehren wir zurück auf die Lindwurmfeste, Schauplatz der „Träumenden Bücher“ aus der Zamonien-Reihe.
Stimmungsvoll: Briefe & Bilder zum Träumen!
Weihnachten auf der Lindwurmfeste ist kein Roman. Vielmehr finden sich hinter dem Cover gesammelte Briefe des Autoren Hildegunst von Mythenmetz, die er dem Buchhaimer Antiquar Hachmed Ben Kibitzer schrieb. Inhalt der Briefe ist dabei das Fest Hamoulimepp, das unter den Bewohnern der Lindwurmfeste mit allerhand Traditionen einher geht, die teils schräg, teils nahe an unserer Vorweihnachtsbräuchen liegen.
Es „weihnachtet“ überall, es glitzert in jeder Gasse, jedem Winkel der Lindwurmfeste. Denn Hamoulimepp ist ein besinnliches Fest für Kinder, eine stressige Zeit für ihre Dichtpaten, vor allem aber: Eine bunte Zeit für Groß & Klein.
Schmücken, Essen, Schenken. Repeat.
In seinen Briefen berichtet Hildegunst von Mythenmetz über Hamoulimepp in seiner Kindheit. Denn jedes Mal, wenn das Jahr sich gen Ende neigte, wurde die Lindwurmfeste geschmückt. Jeder Lindwurm, der an Hamouli glaubte, freute sich dann aufs Fest. Kinder, die das nicht taten, konnten sich der Angst vor dem Mepp mit der Rute nie ganz entziehen. Hinter den bunten Türen der Feste wurden die Feierlichkeiten vorbereitet: Bunt bemalte Steinspitzen, aus den Felsen der Feste gebrochen, schmückten kegelförmig den Wohnraum, und die Geschenke wurden in die glänzenden Eierschalen der Felsengeier gepackt. Rückblickend, wird sich Mythenmetz bewusst, verstand er aber nur die Hälfte dessen, was die Faszination Hamoulimepp ausmacht. Und so hinterfragt er:
Nachdenken über Tradition
„Es ist jedes Mal so, als habe eine Geisteskrankheit in Gestalt einer unsichtbaren Wolke die Lindwurmfeste eingehüllt und sämtliche Bewohner kollektiv um den Verstand gebracht.“ – S. 21
Und so wundert es nicht, dass Mythenmetz in seinen Briefen die Perspektive eines Außenstehenden einzunehmen scheint, der sich aber nicht vollkommen dem „Zauber der Weihnacht“ entziehen kann. Er philosophiert über Großzügigkeit, über denn Sinn des ganzen Festes. Welchen Sinn macht es, den Kindern die Wahrheit über Hamoulimepp vorzuenthalten, nur um sie, sobald sie alt genug sind, grausam zu desillusionieren? Doch die von ihm selbst angekündigte „Abrechnung mit Hamoulimepp“ bröckelt zwischen den Zeilen. Je mehr er darüber nachdenkt, desto klarer wird: Das zamonische Äquivalent Weihnachten ist eine Zeit, in der Kinder, ihre Familien und die Dichtpaten näher zusammenrücken. Und ist das nicht allen Aufwand wert?
„Warum bringen sich erziehungsberechtigte Lindwürmer eigentlich mutwillig um das Vergnügen, ihre Kinder darüber aufzuklären, dass ihre Eltern sich die kostbaren Geschenke vom Mund abgespart haben? Warum verzichten sie auf die vielleicht ewige Dankbarkeit einer Kinderseele und lassen sie grundlos nichtexistierenden Phantasiefiguren zukommen, für die sie auch noch eine komplizierte und widersprüchliche Lügengeschichte stricken? Welches pädagogische Prinzip steckt dahinter?“ S. 33
Farbenfrohe Weihnachten allerseits!
Hamoulimepp in der Lindwurmfeste ist nicht grün, rot, gold & silber. Es ist bunt. Und so finden sich im Buch zahlreiche pastellfarbene Illustrationen Stile „Prinzessin Insomnia“ wieder, dem ersten Kooperationsprojekt von Walter Moers mit Lydia Rode. Wenn man es genau nimmt, befindet sich im ganzen Buch nicht eine Seite, die nicht großzügig und mehrfarbig bedruckt ist: Ein dunkler Rahmen um jeden Text, der gelbe Hintergrund, Lettern und Verweise.
Und mich tröstete das tatsächlich darüber hinweg, dass Weihnachten auf der Lindwurmfeste verschwindend wenig Text und keine Story enthält. Von 112 Seiten des Hardcovers umfassen nur etwa 65 Seiten sehr groß gedruckten Text, eingefasst in dick gedruckte Rahmung, die den Textanteil nochmals schmälert. Aber: Dazu kommen 33 Seiten pure Illustration! Und eine Leseprobe zu „Der Bücherdrache“, Walter Moers neustes Werk, das im März 2019 erscheint.
Fazit: Bunt geschmücktes Büchlein, das unter den Weihnachtsbaum jeden Moers-Fans gehört!
„Es war, als hätte man mir meine ganze Kindheit unter den Füßen weggezogen – und darunter befand sch der tückische Treibsand des Erwachsenenlebens mit allen Zukunftsängsten darin.“ – S. 29
Weihnachten auf der Lindwurmfeste ist ein schickes Büchlein, das den Fokus klar auf farbenfrohe Illustration setzt. Trotz des relativ großen Textabschnitts zu Anfang, fühlt sich das Buch wie ein Bildband für erwachsene Kinder an: Ich blätterte nach jedem Kapitel im Buch, suchte die Bilder zum eben gelesenen Text und fand neue Bilder dabei, suchte neugierig den passenden Text… In einem solchen Buch zu stöbern macht einfach Spaß.
Natürlich ist es nicht neu, alte Traditionen zu hinterfragen, und ich wage zu behaupten, dass wir alle doch schon einmal die Weihnachtstraditionen hinterfragt haben: Wieso ängstigen wir Kinder mit den Geschichten über Ruprecht? Wieso ist flunkern vor dem Fest bezüglich der Geschenke okay? Warum fällen wir Tannen und tragen kitschigen Schmuck in unser Zuhause, den wir den Rest des Jahres nicht in unserem Sichtfeld ertragen würden? Wieso hören wir statt Metal plötzlich Christmas-Pop, bis die Ohren bluten?
Ja, Weihnachtsstimmung scheint auf den ersten Blick eine Geisteskrankheit. Doch macht sie nicht unglücklich. Im Gegenteil: Sie verbindet Menschen, so wie „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ Literatur und Kunst verbindet, uns alle mit einer phantastischen Welt, in die Walter Moers einen neuen Einblick ermöglicht. Wenn auch nur kurz, auf wenigen Seiten, die fast ausschließlich an Kenner und Liebhaber der Zamonien-Romane richten.
Vielen Dank an Penguin für dieses schicke Rezi-Exemplar!
Wenn euch diese Rezi gefiel, schaut doch mal in meine Rezi zu „Prinzessin Insomnia“ von Walter Moers.
Zamonien Special
Fantasy Weihnachten
Penguin
23.11.2018
Hardcover
112
Als Walter Moers den Briefwechsel zwischen Hildegunst von Mythenmetz und dem Buchhaimer Eydeeten Hachmed Ben Kibitzer sichtete, stieß er auf einen Brief, in dem der zamonische Autor ein Fest schildert, das Moers frappierend an unser Weihnachtsfest erinnert hat. Die Lindwürmer Zamoniens begehen es alljährlich und nennen es »Hamoulimepp«. Während dieser drei Feiertage steht die Lindwurmfeste ganz im Zeichen der beiden Figuren »Hamouli« und »Mepp«, die unserem Weihnachtsmann und dem Knecht Ruprecht verblüffend ähneln. Außerdem gehören zur Tradition Hamoulimeppwürmer, Hamoulimeppwurmzwerge, ungesundes Essen, ein Bücher-Räumaus, ein feuerloses Feuerwerk und vieles andere mehr. Laut Moers, kein Freund der Weihnachtsfeierei, gibt dieser Brief von Mythenmetz einen profunden Einblick in die Gebräuche einer beliebten zamonischen Daseinsform, der Lindwürmer. Nie war Weihnachten so zamonisch.